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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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zwei, drei Akkorde an, weiß noch, was es war, weil mir das Klangphänomen gerade im Sinne lag. Modulation von H- nach C-dur, aufhellender Halbton-Abstand wie im Gebet des Eremiten im Freischütz-Finale, bei dem Eintritt von Pauke, Trompeten und Oboen auf dem Quartsextakkord von C. Weiß es im Nachher, wußte es aber damals nicht, sondern schlug eben nur an. Neben mich stellt sich dabei eine Bräunliche, in spanischem Jäckchen, mit großem Mund, Stumpfnase und Mandelaugen, Esmeralda, die streichelt mir mit dem Arm die Wange. Kehr ich mich um, stoß mit dem Knie die Sitzbank bei Seite und schlage mich über den Teppich zurück durch die Lusthölle, an der schwadronierenden Zatzenmutter vorbei, durch den Flur und die Stufen hinab auf die Straße, ohne das Messinggeländer nur anzufassen.
    Da hast du den Fetzen, so mir begegnete, nach der lenge erzält, zum Entgelt für den brüllenden Rottenführer, den du artem metrificandi lehrst. Amen hiemit und betet für mich! Nur ein Gewandhaus-Konzert bis dato gehört mit Schumanns Dritter als pièce de résistance. Ein Kritiker von damals rühmte dieser Musik ›umfassende Weltanschauung‹ nach, was sehr nach unsachlichem Geschwätz klingt, und worüber denn auch die Klassizisten sich weidlich lustig machten. Hatte aber doch seinen guten Sinn, da es die Standeserhöhung bezeichnet, die Musik und Musiker der Romantik verdanken. Sie hat die Mu {210} sik aus der Sphäre eines krähwinkligen Spezialistentums und der Stadtpfeiferei emanzipiert und sie mit der großen Welt des Geistes, der allgemeinen künstlerisch-intellektuellen Bewegung der Zeit in Kontakt gebracht, – man sollt es ihr nicht vergessen. Von dem letzten Beethoven und seiner Polyphonie geht das alles aus, und ich finde es außerordentlich vielsagend, daß die Gegner der Romantik, das heißt: einer aus dem bloß Musikalischen ins allgemein Geistige hinaustretenden Kunst, immer auch Gegner und Bedauerer der Beethoven'schen Spätentwicklung waren. Hast du je darüber nachgedacht, wie anders, wieviel leidend-bedeutender die Individualisierung der Stimme in seinen höchsten Werken sich ausnimmt, als in der älteren Musik,
wo sie gekonnter ist?
Es gibt Urteile, die durch ihre krasse, den Urteilenden kräftig kompromittierende Wahrheit belustigen. Händel sagte von Gluck: ›Mein Koch versteht mehr vom Kontrapunkt als er‹, – ein mir teures Kollegenwort.
    Spiele viel Chopin und lese über ihn. Ich liebe das Engelhafte seiner Gestalt, das an Shelley erinnert, das eigentümlich und sehr geheimnisvoll Verschleierte, Unzulassende, sich Entziehende, Abenteuerlose seines Daseins, das Nichts-wissen-wollen, das Ablehnen stofflicher Erfahrung, die sublime Inzucht seiner phantastisch delikaten und verführerischen Kunst. Wie sehr spricht für den Menschen die tief aufmerksame Freundschaft Delacroix', der ihm schreibt: ›J'espère vous voir ce soir, mais ce moment est capable de me faire devenir fou.‹ Alles Mögliche für den Wagner der Malerei! Aber nicht ganz Weniges gibts ja bei Chopin, was Wagner, nicht nur harmonisch, sondern im Allgemein-Seelischen, mehr als antizipiert, nämlich gleich überholt. Nimm das cis-moll-Notturno opus 27 No. 2 und den Zwiegesang, der angeht nach der enharmonischen Vertauschung von Cis- mit Des-dur. Das übertrifft an desperatem Wohlklang alle Tristan-Orgien – und zwar in klavieristischer Intimität, nicht als Hauptschlacht der Wollust und {211} ohne das Corridahafte einer in der Verderbtheit robusten Theatermystik. Nimm vor allem auch sein ironisches Verhältnis zur Tonalität, das Vexatorische, Vorenthaltende, Verleugnende, Schwebende, die Verspottung des Vorzeichens. Es geht weit, belustigend und ergreifend weit …«
    Mit dem Ausruf »Ecce epistola!« schließt der Brief. Hinzugefügt ist: »Daß du dies hier
sofort vernichtest
, versteht sich.« Die Unterschrift ist ein Initial, dasjenige des Familiennamens, das L, nicht das A. –

XVII
    Der kategorischen Weisung, diesen Brief zu vernichten, bin ich nicht gefolgt – wer will es einer Freundschaft verargen, welche das darin auf Delacroix' Freundschaft für Chopin gemünzte Beiwort »tief aufmerksam« für sich in Anspruch nehmen darf? Ich gehorchte der Zumutung anfangs darum nicht, weil ich das Bedürfnis hatte, das zuerst nur rasch durchflogene Schriftstück wieder und wieder – nicht sowohl zu lesen, als es stilkritisch und psychologisch zu studieren, und mit der Zeit schien mir dann der Augenblick, es zu zerstören,

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