Doktor Faustus
Antwort auf sie erwartete. Aber ein solch verzweifelt Herz, eine solche Hundeschnauze erachten Sie als ›begabt‹ für die Musik und rufen mich zu ihr, zu sich, statt mich lieber in Demut bei der Gotteswissenschaft ausharren zu lassen?«
So Adrians abwehrendes Bekenntnis. Auch Kretzschmars Antwort liegt mir als Dokument nicht vor. In Leverkühns Nachlaß hat sie sich nicht gefunden. Er wird sie eine Weile bewahrt und bei sich gehalten haben, und bei einem Aufenthaltswechsel, dem Umzuge nach München, nach Italien, nach Pfeiffering wird sie verloren gegangen sein. Übrigens habe ich sie in fast ebenso genauer Erinnerung, wie Adrians Äußerungen, wenn ich damals auch keine Aufzeichnungen darüber {198} machte. Der Stotterer beharrte bei seinem Ruf, seiner Mahnung und Lockung. Kein Wort in Adrians Brief, schrieb er, habe ihn auch nur augenblicksweise an der Überzeugung irre machen können, daß es die Musik sei, für die das Schicksal ihn, den Schreiber, eigentlich bestimmt habe, nach der es ihn verlange, die nach ihm verlange, und vor der er sich, halb feig, halb kokettisch, hinter halbwahren Analysen seines Charakters und seiner Konstitution verstecke, wie er sich hinter der Theologie, seiner ersten, absurden Berufswahl, vor ihr versteckt habe. »Ziererei, Adri, – und die Verstärkung Ihres Hauptwehs ist die Strafe dafür.« Der Sinn für Komik, den er sich nachrühme, oder dessen er sich anklage, werde sich mit der Kunst weit besser vertragen, als mit seiner gegenwärtigen künstlichen Beschäftigung, denn jene, im Gegensatz zu dieser, könne ihn brauchen, – sie könne überhaupt die abstoßenden Charaktereigenschaften, die er sich nachsage, viel besser brauchen, als er glaube oder, der Ausrede halber, zu glauben vorgebe. Er, Kretzschmar, wolle die Frage offen lassen, wie weit es sich dabei um Selbstverleumdung handle, bestimmt, die korrespondierende Verleumdung der Kunst zu entschuldigen; denn diese als Kopulation mit der Menge, Kußhändewerfen, Gala-Repräsentation, als Blasebalg der Gefühlsschwellung hinzustellen, sei ja eine leichte Verkennung, und zwar eine wissentliche. Es passiere ihm aber, daß er sich mit Eigenschaften von der Kunst entschuldigen wolle, nach denen diese gerade verlange. Leute wie ihn, genau solche, habe die Kunst heute nötig, – und der Witz, der heuchlerisch versteckspielende Witz sei eben der, daß Adrian das ganz genau wisse. Die Kühle, die »rasch gesättigte Intelligenz«, der Sinn für das Abgeschmackte, die Ermüdbarkeit, die Neigung zum Überdruß, die Fähigkeit zum Ekel, – dies alles sei ganz danach angetan, die damit verbundene Begabung zur Berufung zu erheben. Warum? Weil es nur zum Teil der privaten Persönlichkeit angehöre, zum anderen Teil {199} aber über-individueller Natur und Ausdruck sei eines kollektiven Gefühls für die historische Verbrauchtheit und Ausgeschöpftheit der Kunstmittel, der Langenweile daran und des Trachtens nach neuen Wegen. »Die Kunst schreitet fort«, schrieb Kretzschmar, »und sie tut es vermittelst der Persönlichkeit, die das Produkt und Werkzeug der Zeit ist, und in der objektive und subjektive Motive sich bis zur Ununterscheidbarkeit verbinden, die einen die Gestalt der anderen annehmen. Das vitale Bedürfnis der Kunst nach revolutionärem, ja revolutionärem Fortschritt und nach dem Zustandekommen des Neuen ist angewiesen auf das Vehikel stärksten subjektiven Gefühls für die Abgestandenheit, das Nichts-mehr-zu-sagen-haben, das Unmöglich-geworden-sein der noch gang und gäben Mittel, und es bedient sich des scheinbar Unvitalen, der persönlichen Ermüdbarkeit und intellektuellen Gelangweiltheit, des durchschauenden Ekels vor dem ›Wie es gemacht wird‹, der verfluchten Neigung, die Dinge im Licht ihrer eigenen Parodie zu sehen, des ›Sinnes für Komik‹, – ich sage: der Lebens- und Fortschrittswille der Kunst nimmt die Maske dieser mattherzigen persönlichen Eigenschaften vor, um sich darin zu manifestieren, zu objektivieren, zu erfüllen. Ist Ihnen das zuviel der Metaphysik? Es ist aber nur gerade genug davon, nur gerade die Wahrheit, – die Ihnen im Grunde bekannte Wahrheit. Spute dich, Adrian, und entschließe dich! Ich warte. Sie sind schon zwanzig, und Sie haben sich noch eine Menge knifflichen Handwerks anzueignen, schwierig genug, um Sie zu reizen. Es ist besser, von Kanon-, Fugen- und Kontrapunkt-Exercitien Hauptweh zu bekommen, als von der Widerlegung der Kant'schen Widerlegung der Gottesbeweise. Genug
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