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Doktor Pascal - 20

Doktor Pascal - 20

Titel: Doktor Pascal - 20 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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den lieben Gott tötet!«
    »Doch, mein armes Kind, er tötet ihn … Und seht, vom Standpunkt der Religion aus ist es ein Verbrechen, sich so um die ewige Seligkeit zu bringen. Ihr liebt ihn nicht, sage ich euch, nein, ihr liebt ihn nicht, ihr beide, die ihr so glücklich seid zu glauben, denn ihr tut nichts, um ihn wieder auf den rechten Weg zu bringen … Ach, ich an eurer Stelle würde diesen Schrank mit der Axt zerhauen, ich würde ein tolles Freudenfeuer entfachen mit all den Beleidigungen des lieben Gottes, die darin enthalten sind!«
    Sie hatte sich vor dem riesigen Schrank aufgepflanzt, sie maß ihn mit ihrem Feuerblick, als wollte sie ihn trotz der vertrockneten Hagerkeit ihrer achtzig Jahre im Sturm nehmen, plündern, vernichten. Dann sagte sie mit einer Gebärde spöttischer Geringschätzung:
    »Wenn er mit seiner Wissenschaft wenigstens alles herausbekommen könnte!«
    Clotilde verharrte gedankenversunken und starrte ins Leere. Die beiden anderen vergessend, sagte sie halblaut vor sich hin:
    »Das stimmt, er kann nicht alles herausbekommen … Immer gibt es noch etwas anderes … Das ärgert mich, das bringt uns manchmal dazu, miteinander zu streiten; denn ich kann nicht wie er das Mysterium beiseite lassen: das beunruhigt mich, ja, es quält mich sogar … Alles Wollen und Tun desjenigen, der im Schauer des Dunkels wirkt, all die unbekannten Kräfte …«
    Ihre Stimme war nach und nach langsamer geworden und in ein undeutliches Murmeln übergegangen.
    Da mischte sich Martine ein, die seit einer Weile mit düsterer Miene dastand.
    »Wenn es nun wahr wäre, Mademoiselle, daß sich der Herr Doktor mit all diesen gräßlichen Papieren noch um sein Seelenheil bringt! Sollen wir ihn dann gewähren lassen? Sehen Sie, wenn er mir sagen würde, ich soll mich die Terrasse hinunterstürzen, würde ich die Augen schließen und mich hinunterstürzen, weil ich weiß, daß er immer recht hat. Aber für sein Seelenheil würde ich auch gegen seinen Willen etwas tun, oh, wenn ich es nur könnte! Mit allen Mitteln würde ich ihn zwingen, jawohl, denn der Gedanke ist mir doch zu grausam, daß er nicht mit uns zusammen in den Himmel kommen soll.«
    »Das ist sehr gut, mein Kind«, sagte Félicité zustimmend. »Ihr liebt wenigstens Euern Herrn auf vernünftige Weise.«
    Clotilde dagegen schien noch unentschlossen. Ihr Glaube beugte sich nicht der strengen Regel des Dogmas, ihr religiöses Gefühl vergegenständlichte sich nicht in der Hoffnung auf ein Paradies, auf eine Stätte der Wonnen, wo man die Seinen wiederfindet. In ihr lebte lediglich ein Verlangen nach dem Jenseits, eine Gewißheit, daß die weite Welt nicht aufhört mit den Sinnesempfindungen, daß es noch eine ganz andere, unbekannte Welt gibt, mit der man rechnen muß. Aber ihre so alte Großmutter und das so ergebene Dienstmädchen machten sie wankend in ihrer besorgten, zärtlichen Liebe zu ihrem Onkel. Liebten die beiden anderen ihn nicht noch mehr, auf eine aufgeklärtere und aufrechtere Art, wenn sie ihn ohne Makel wollten, erlöst von den Süchten des Wissenschaftlers, rein genug, um unter den Auserwählten zu sein? Sätze aus frommen Büchern kamen ihr wieder in den Sinn, die Schlacht, die ständig mit dem Geist des Bösen ausgetragen wird, der Ruhm der Bekehrungen, die in edlem Kampfe erlangt werden. Wenn sie sich an dieses heilige Werk machte, wenn sie ihn gegen seinen Willen rettete! Und nach und nach ergriff eine Verzückung ihren Geist, der sich gern abenteuerlichen Unternehmungen zuwandte.
    »Gewiß«, sagte sie schließlich, »ich wäre sehr glücklich, wenn er sich nicht den Kopf damit zerbräche, diese Papierfetzen zu stapeln, sondern mit uns in die Kirche käme.«
    Und als Frau Rougon sah, daß Clotilde geneigt war nachzugeben, rief sie, man müsse handeln, und Martine machte ihren ganzen Einfluß geltend. Sie waren näher getreten, redeten auf das junge Mädchen ein, senkten die Stimmen wie bei einer Verschwörung, bei der eine wundersame Wohltat, eine göttliche Freude herauskommen sollte, die das ganze Haus mit ihrem Duft erfüllen würde. Welch ein Triumph, wenn man den Doktor mit Gott aussöhnte! Und welche Wonne, dann in der himmlischen Gemeinschaft ein und desselben Glaubens zusammen zu leben!
    »Also, was soll ich tun?« fragte Clotilde, besiegt, gewonnen.
    Aber in diesem Augenblick setzte inmitten des Schweigens der Stößel des Doktors mit seinem regelmäßigen Rhythmus wieder lauter ein. Und die siegreiche Félicité, die gerade

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