Dollars
völlig normal, daß ein Mann seine Frau niederschlägt und vertrimmt! Es kam zu einem zähen Tauziehen zwischen dem Staatsanwalt und meinem Verteidiger, und am Ende wurde ich zu zweieinhalb Jahren Gefängnis wegen Totschlags verurteilt. Der Richter erklärte noch, daß ich mir mit meiner gleichgültigen Haltung während des Prozesses sämtliche Sympathien verscherzt hätte, worauf ich erklärte, daß mir sein Geschiß herzlich egal sei.
Ich hatte mich vom ersten Tag der Untersuchungshaft an stark verändert. Für nichts hatte ich mehr Interesse. Alles, was einen Menschen normalerweise antreibt, Selbstachtung, Selbstbeherrschung, Egoismus, Haß, Melancholie und so weiter, kam mir abhanden. Bis mir schließlich der ganze Joris, alias Sid, Stefan schnuppe war. Ich verfolgte zwar aufmerksam, wie er im Untersuchungsgefängnis malträtiert wurde und wie man ihn vor Gericht wie einen Spielstein hin und her schob, aber es tangierte mich nicht. Es war, als beträfe das alles jemand anders. Ich konnte mich zwar aufregen, wenn der Staatsanwalt wieder mal mit gewiefter Miene meinen wüsten Lebenswandel und mein aufbrausendes Temperament anführte, die der Anpassungan unsere zivilisierte Gesellschaft bedürften, aber ich tat das, weil jemand anderem, einem Dritten, Unrecht getan wurde, nicht mir selbst.
Was diese Veränderung ausgelöst hatte und was da ablief, könnte ich nicht erklären, vielleicht geht es jedem so, der entdeckt, daß man als Mensch nicht lebt, sondern gelebt wird.
Sieben Monate lang hatte ich Speichen in Fahrradreifen gesetzt und Plastikspielzeug sortiert, und alle vierzehn Tage hatte Annette mich besucht. Als sie zum fünfzehnten Mal kam, bat sie mich, in die Scheidung einzuwilligen. Sie habe seit einiger Zeit ein Verhältnis mit Peter, gestand sie, und sie hätten keine Lust mehr auf die ewige Heimlichtuerei.
Peter war ein Freund von mir und wie ich Texter, kein so guter, aber immerhin passabel. Wir hatten früher, in unserer Junggesellenzeit, oft zusammen Urlaub gemacht und beruflich bei mehreren Werbeprojekten zusammengearbeitet. Er ging bei uns ein und aus – offensichtlich auch noch, als ich im Gefängnis saß.
Natürlich willigte ich ein, was blieb mir auch anderes übrig. Ich mußte noch fast zwei Jahre absitzen, und Hörner hatten sie mir ja sowieso schon aufgesetzt.
Wegen guter Führung kam ich ein halbes Jahr früher raus und setzte mich, obwohl ich das Land eigentlich noch nicht verlassen durfte, gleich am nächsten Tag nach Südspanien ab, wo ich den Winter in einem kleinen Ort am Meer verbrachte. Ich versuchte, ein Buch über meine Zeit im Knast zu schreiben, aber ich brachte nur larmoyanten Käse zustande, was ich wenigstens rechtzeitig einsah. Als meine Ersparnisse erschöpft waren, trampte ich ans entgegengesetzte Ende von Europa, nach Schweden. Der Rest ist bekannt. Als Holzfäller hatte ich ganz gut verdient, zumal man in den Wäldern dort kaum was ausgebenkonnte. Fast mein ganzes Geld war auf ein Bankkonto in Stockholm gewandert, so daß ich jetzt über zehntausend Kronen verfügte.
Man sagt ja, daß ein Verbrecher immer an den Ort seines Verbrechens zurückkehrt, und daran könnte durchaus etwas Wahres sein. Ich schaute zu meiner Dachgeschoßwohnung hinauf und sah, daß dort Licht brannte.
Annette und Peter saßen wahrscheinlich beim Abendessen oder gönnten sich einen guten Schluck, während sie meine Platten hörten.
Wir hatten vereinbart, daß sie hier wohnen bleiben konnten, bis ich zurück war. Jetzt würden sie schleunigst ausziehen müssen, so leid mir das tat. Ein komisches Gefühl, wenn man sozusagen als Außenstehender auf sein eigenes Heim blickt. Schön ist das nicht. Ich ging schnell weiter, um die nächste Ecke, am Hoppe vorbei. Rein wollte ich nicht, denn da waren immer irgendwelche Leute, die ich kannte, und ich wollte noch niemanden sehen. Über Spui und Rokin und dann an der Amstel entlang ging ich zum Rembrandtsplein, wo ich mich schließlich in einem Straßencafé niederließ. Die Stadt wirkte viel belebter als vor drei Jahren, die Leute kleideten sich endlich etwas besser und sahen fröhlicher aus, die Stimmung war schon fast frivol. An den Straßencafés vorbei promenierte ein stetiger Menschenstrom, manche Leute sah ich mindestens zehnmal vorüberkommen. Seltsamerweise flaniert man in Amsterdam nicht wie im Süden, um gesehen zu werden, sondern um zu sehen, wer denn so im Straßencafé sitzt, und wer im Straßencafé sitzt, will gesehen
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