Dollbohrer!
sich immer mehr in seine persönliche Todeszelle! Vor ihm das Blatt mit den beiden Mannschaftsaufstellungen. Sowohl der deutschen als auch der englischen Nationalmannschaft. Die sechzigtausend hier im Stadion, die ihn, den Überraschungsgast, eben noch frenetisch begrüßt hatten, waren mittlerweile extrem ruhig geworden. Auch die Spieler beider Mannschaften die da unten auf dem Rasen aufgereiht standen und auf das Erklingen ihrer Nationalhymnen warteten, starrten irritiert auf den riesigen Würfel über ihnen. Genauso wie die achtzig Mitglieder der Militärbigband, die ja nicht anfangen konnten, bevor die Aufstellungen vorgelesen waren. Von dem bekannten Schauspieler da oben.
Hätte man sein Gestammel nur gehört, wäre man vermutlich davon ausgegangen, dass es sich um ein technisches Übertragungsproblem handeln müsse. Aber man sah ihn ja! Wie er mit hochrotem Kopf und schweißnasser Stirn etwas so einfaches wie »Mit der Nummer eins: Manuel Neuer!« nicht herausbrachte.
Erste, vereinzelte Pfiffe mischten sich in die Stille, während es in Jans Kopf hämmerte. Er hatte schon gewusst, warum er mehrmals nachgefragt hatte, ob er die Aufstellung schon ein paar Stunden vorher haben könne, denn dann hätte er sie auswendig gelernt. Was aber nicht ging, weil beide Trainer bis zur letzten Minute nicht damit rausrücken wollten.
Verzweifelt schaute er sich um, vielleicht gab es ja zumindest die Möglichkeit, sich umzubringen. Vielleicht der Klassiker … mit nassen Fingern in eine der Steckdosen? Oder den Schraubenzieher, den irgendjemand hatte hier liegen lassen, ins Herz rammen, so wie in den Vampirfilmen. Beides jetzt nicht unbedingt einfache Methoden, aber alles besser als das Drama, dessen Hauptdarsteller er gerade war. Langsam schob er seine Hand in Richtung des spitzen, ihn für alle Zeiten erlösenden Werkzeugs. »Du musst ordentlich Schwung holen, sonst wird das nix …«, hörte er sich selber murmeln.
In diesem Moment klopfte es. Erst einmal und eher leise, dann vehementer!
Und während der Schraubenzieher in seiner Hand plötzlich immer undeutlicher wurde, nahm das Klopfen an Lautstärke zu. Dann riss jemand aufgeregt die Tür auf.
»Jan, ich will ja nicht drängeln, aber in zwei Minuten ist Sendung! Im Studio warten alle nur noch auf dich! Und denk an die Schalte ins Trainingslager nach Köln, machen wir direkt vorm Wetter. Der Neuer weiß schon Bescheid, dass du ihn interviewst!«
Jan Hofer atmete erleichtert durch, während er sich rasch den Schlaf aus den Augen rieb. Jetzt war er schon so lange Chefsprecher der »Tagesschau«, hatte in über tausend Sendungen Abertausende von Meldungen fehlerfrei vorgelesen, und trotzdem immer wieder diese Albträume! Gut, einmal hatte er aus Bayern München statt einen ›Spitzenreiter‹ einen ›Spitzenreiher‹ gemacht … aber was war das schon gegen »Pfingstfressen der Sudetendeutschen« gewesen, das einen Radiokollegen seinerzeit den Job gekostet hatte. Aber vielleicht waren diese Träume ja auch genau die Grundlage dafür, dass er immer so konzentriert war und sich so selten versprochen hatte. Eine Art inneres Frühwarnsystem.
Ja, Jan Hofer beherrschte sein Handwerk. Putzmunter und zielstrebig schritt er ins Studio 1, setzte sich lächelnd auf seinen Sprecherplatz, und schon ging es los. Das »Tagesschau«-Thema erklang, und die Kameramänner richteten ihr Arbeitsgerät auf ihn.
»Manuel Neuer … in Köln begrüße ich Manuel Neuer …«, murmelte er leise, bis das rote Licht aufleuchtete …
Die drei Musketiere
Was immer Alexandre Dumas auch geritten hat, diese Geschichte plötzlich in Paris spielen zu lassen, und wie auch immer er auf Figuren wie den jungen d’Artagnan und seine drei von ihm bewunderten Freunde Athos, Porthos und Aramis kam … es wird Zeit für den wahren Text …
Glitzernd lagen die Kugeln auf dem staubigen Boden der alten Boulebahn inmitten der Stadt. Die drei Männer, die bis eben noch gespielt hatten, saßen nebeneinander auf der kleinen Mauer und machten Zigarettenpause. Wäre ein Betrunkener vorbeigekommen, hätte er in diesem Moment vermutlich dem Alkohol für immer abgeschworen. Denn im Suff mal etwas doppelt sehen, das ging ja noch … aber dreifach? Dabei war es gar keine Sinnestäuschung, die da auf der Mauer Platz genommen hatte und einem einen Streich hätte spielen wollen. Nein, dort saßen einfach nur drei Männer, die vor über achtzig Jahren innerhalb von zehn Minuten von ein und derselben Mutter zur Welt gebracht
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