Dolly - 02 - Wirbel in Klasse 2
wird auch im selben Schlafraum untergebracht wie ihr. Zeigt ihr den Weg zur Hausmutter.”
Dolly warf einen Blick auf das große dünne Mädchen, das nervös und verängstigt neben der Lehrerin stand. Sie erinnerte sich daran, wie verloren sie selbst sich vorgekommen war an ihrem ersten Tag in Möwenfels, und die Neue tat ihr leid.
Gemeinsam mit Susanne ging sie auf sie zu. “Guten Tag. Kommst du mit uns? Wir werden uns ein bißchen um dich kümmern. Wie heißt du?”
“Ellen Wieland”, sagte das Mädchen. Es sah blaß und müde aus. Auf Ellens Stirn war eine Falte, die wie eine Trennungslinie zwischen ihren Augenbrauen verlief.
Sie machte keinen allzu sympathischen Eindruck auf sie, aber Dolly lächelte sie freundlich an.
“Wahrscheinlich bist du ganz durcheinander von dem Krach, der hier herrscht”, sagte sie. “Ich habe das genauso empfunden, als ich im vergangenen Jahr hierher kam. Ich heiße Dolly Rieder. Und das ist meine Freundin, Susanne Hoppe.”
Das Mädchen lächelte höflich und schloß sich ihnen schweigend an. Sie bahnten sich den Weg durch die Menge der aufgeregt schwatzenden Schülerinnen.
“Dort ist Marlies!” sagte Dolly. “Hallo, Marlies! Bist du aber gewachsen!”
Die kleine Marlies strahlte. “Hoffentlich!” erwiderte sie. “Ich habe es satt, immer die Kleinste der Klasse zu sein. Wer ist das?”
“Ellen Wieland. Eine Neue. Zweite Klasse”, erklärte Dolly. “Sie schläft in unserem Schlafsaal”, fügte Susanne hinzu. “Wir bringen sie zur Hausmutter. Hallo, da ist ja auch Irene. Irene, wir haben gesehen, wie du deinem Vater fast die Brille von der Nase geschlagen hast, als du uns winken wolltest.”
Irene grinste. “Ja, und das war bereits das dritte Mal. Er fing an, sich wirklich zu ärgern. Geht ihr zur Hausmutter? Im komme mit.”
“Hast du dein Gesundheitszeugnis?” erkundigte sich Susanne. Es war ein ständiger Spaß für die Mädchen, daß Irene immer ohne Gesundheitsattest in der Schule ankam, wie sorgfältig ihre Mutter es auch in ihrem Handkoffer oder der Jackentasche verstauen oder in einen Briefumschlag stecken mochte.
“Hast du deines?” fragte Dolly die neue Schülerin. Und als Ellen Wieland nickte, fügte sie hinzu: “Wir müssen es sofort abgeben. Und wehe dir, wenn du dich nach Ablieferung des Attests und der ausdrücklichen Versicherung, mit keinem Kranken zusammengekommen zu sein, plötzlich mit Masern, Windpocken oder etwas Ähnlichem hinlegst. O je Irene, du willst doch nicht etwa sagen, daß du dein Attest schon wieder einmal verloren hast?”
Irene durchsuchte ihre sämtlichen Taschen – in ihrem Gesichtsausdruck lag ein komisches Entsetzen. “Ich kann es momentan nicht finden”, erklärte sie. “Es ist wahrscheinlich in meinem Handkoffer. Aber nein – da wollte Mutter es nicht mehr hineinlegen, weil es daraus doch immer verschwindet.”
“Die Hausmutter sagte, daß sie dich das nächste Mal so lange ganz allein in einem Zimmer der Krankenstation in Quarantäne nehmen wird, bis deine Mutter ein anderes Attest geschickt hat. Du bist ein richtiges Schusselchen, Irene!”
Aufgeregt in allen Taschen wühlend, folgte Irene den drei Mädchen zum Nordturm. Der Schlafsaal der zweiten Klasse war nicht weit von dem der ersten entfernt, in dem Dolly während des letzten Schuljahres geschlafen hatte – ein großer freundlicher Raum mit zehn blütenweiß bezogenen Betten und molligen, buntgemusterten Daunendecken. Die Mädchen setzten ihre Handkoffer und Taschen ab und schauten sich dann nach der Hausmutter um. Die war eben dabei, eine weitere Neue in den Schlafsaal zu führen.
Das neue Mädchen war etwa im Alter von Dolly und hatte wie diese schwarzes, gelocktes Haar, trug es aber viel kürzer, fast wie ein Junge. Sie sah ziemlich schmutzig und unordentlich aus, hatte jedoch ein sehr gewinnendes Lachen. Ihre Augen zwinkerten lustig, als sie ihre Mitschülerinnen betrachtete. Sie machte längst keinen so hilflosen Eindruck wie Ellen.
“Susanne und Dolly, da seid ihr ja! Hier ist noch eine neue, Schülerin”, rief die Hausmutter.
“Nehmt euch ihrer ein bißchen an, ja? Ihr Name ist Britta Mohr. Nun, habt Ihr alle. Eure Handkoffer oder Taschen mit den Wasch-und Schlafsachen? Und vor allem die Gesundheitszeugnisse?”
“Unser Handgepäck ist dort, erwiderte Dolly. Und hier ist mein Attest.”
“Wo ist mein Handkoffer?” fragte Britta plötzlich. “Du wirst ihn schon noch finden”, erwiderte die Hausmutter. “Gib mir erst einmal dein Attest, dann
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