Dolly - 12 - Die juegste Burgmoewe
beruhigt sein. Wenn ich mich krank fühlte, würde ich’s schon sagen.“
Charlie lief davon und stürzte sich mit doppeltem Eifer ins Spiel.
„Trotzdem ist etwas nicht in Ordnung mit ihr. Hast du ihre Handschrift gesehen? An manchen Tagen schreibt sie ganz anders als sonst, so fahrig und unordentlich“, sagte Vivi leise zu Susu. „Vielleicht hat sie Kummer?“
„Hast du bemerkt, daß sie in letzter Zeit kaum noch Briefe schreibt? Früher schrieb sie doch jeden Tag! Dafür macht sie jetzt einsame Spaziergänge und ist wütend, wenn man sie begleiten will.“
„Nur in einem ist sie unschlagbar!“ mischte sich Olly ins Gespräch. „Sie kann essen wie ein Scheunendrescher und wird überhaupt nicht dicker! Dabei steckt sie sich immer noch für zwischendurch was ein! Wo die das bloß alles läßt? Mann, das sollte mir mal passieren! Beneidenswert!“
Drei Tage später bekam Charlie eine schwere Grippe. Sie versuchte, so gut es ging, vor den anderen zu verbergen, wie schlecht sie sich fühlte, aber Dolly merkte schnell, was los war, und schleppte die heftig Protestierende in die Krankenstation, wo sie von der Krankenschwester sofort ins Bett gesteckt wurde.
„Kind, das sieht doch ein Blinder, daß du hohes Fieber hast! Sei doch nicht so unvernünftig! Wenn du tust, was ich dir sage, bist du in ein paar Tagen wieder unten bei deinen Freundinnen“, mahnte die Schwester.
„Ich bin aber nicht krank!“ jammerte Charlie, und die Tränen schossen ihr aus den Augen. „Ich bin nur erhitzt, weil ich so gerannt bin! Ich will nicht ins Bett!“
„So – und der scheußliche Husten? Der Schnupfen? Bilde ich mir die nur ein, wie?“
„Das bißchen Husten! Deshalb braucht man sich doch nicht gleich ins Bett zu legen!“
„Charlie, ich begreife dich nicht!“ Dolly setzte sich neben sie ans Bett und griff nach ihrer Hand. „Ist es denn wirklich so schlimm, ein paar Tage lang nicht zum Unterricht zu gehen? Überleg doch, wie rücksichtslos es gegen deine Kameradinnen wäre, mit so einer Erkältung bei ihnen zu bleiben! Willst du sie alle anstecken?“
„Natürlich will ich das nicht!“ Charlie richtete sich heftig auf. „Ich würde mich schon vorsehen und niemand zu nahe kommen! Bitte, lassen Sie mich doch wieder runter, Hausmutter! Bitte!“
„Das darf ich nicht erlauben, Charlie, so leid es mir tut. Also, versuch es mit Humor zu tragen! In ein paar Tagen ist alles vergessen.“
„Sie verstehen mich nicht. Keiner versteht mich!“ schluchzte Charlie. „Ich kann nicht hierbleiben, ich kann nicht!“
„Jetzt bekommst du von mir erst mal eine Spritze und ein Medikament gegen den Husten, dann wirst du wundervoll schlafen, und morgen sieht alles gleich ganz anders aus“, sagte die Krankenschwester begütigend. „Du lieber Himmel, man meint ja, die Welt solle untergehen, so ein Theater machst du!“
„Charly, ich begreife dich nicht!“ erklärte Dolly
„Ich sehe nachher noch mal nach dir“, Dolly ging leise aus dem Zimmer. In der Tür schaute sie noch einmal zurück auf das völlig verzweifelte Mädchen.
„Sie verbirgt etwas vor uns, da bin ich jetzt sicher“, sagte sie später zu Klaus. „Wenn ich nur wüßte, was?“
„Vielleicht gibt ihre Vergangenheit Aufschluß darüber? Weißt du etwas über ihre Eltern, ihre Familie? Oder über ihre frühere Schule?“
„Nicht viel. Sie lebt bei der Mutter, die Eltern sind wohl geschieden. Die Mutter ist nach der Scheidung vermutlich in den Beruf zurückgekehrt und hat Charlie deshalb nach Möwenfels gegeben. Ach, Liebster, ich bin ganz verzweifelt! Wenn du sie gesehen hättest, dieses Häufchen Unglück! Dieser Ausdruck von völliger Einsamkeit und Hilflosigkeit in den grauen Augen.“
„Blauen…“
„Wie?“
„In den blauen Augen, wolltest du sagen.“
„Machst du Witze?“
„Entschuldige, natürlich spielt das jetzt keine Rolle. Es kam mir nur in den Sinn, weil Charlie die hübschesten blauen Augen hat, die ich je bei einem Mädchen gesehen habe.“
„Aber ihre Augen sind grau, da bin ich ganz sicher!“
„Vielleicht war das Licht schuld. Oder die Krankheit. Oder die Tränen, das ist ja wirklich gleich. Morgen werden die Augen wieder blau sein und klar und fröhlich. Mach dir keine Sorgen, Liebes. Daß Charlie so verzweifelt war, hing sicher mit der schweren Grippe zusammen. Sie hat einfach die Nerven verloren. Vermutlich steckt ihr die Krankheit schon eine ganze Weile in den Knochen. Sie hat es überspielt und ist nun um so heftiger davon niedergeworfen
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