Dolly - 12 - Die juegste Burgmoewe
fest!“
„Und ich habe sie vor einer halben Stunde in der kleinen Jagdhütte überrascht! Ehe ich begriff, was los war, rannte sie davon wie ein gehetztes Reh und war kurz darauf spurlos verschwunden!“
„Klaus, das ist nicht möglich! Das Mädchen schlief fest, ich habe eine ganze Weile neben ihr gesessen! Bist du sicher, daß es Charlie war?“
„Ganz sicher. Sie starrte mich mit ihren hellblauen Augen an wie ein Geist. Hätte ich diesen Blick nicht aufgefangen, dann wäre ich nicht so sicher. Es ging alles so rasend schnell…“
„Klaus! Mir dämmert da was. Weil du gerade von den Augen sprichst. Ich habe mir Charlies Augen vorhin angesehen. Sie sind grau. Eindeutig. Ein dunkles Blaugrau!“
„Das würde bedeuten…“
„Daß das Mädchen oben in der Krankenstation nicht Charlie ist.“
„Sondern eine Zwillingsschwester. Aber wie kommt Charlie in die Hütte?“
„Keine Ahnung. Ich weiß vorerst nur eines: daß wir hier die Erklärung für den merkwürdigen Wechsel in Charlies Verhalten haben, die unterschiedliche Handschrift, die Stimmungsschwankungen. Alles andere werden uns die Mädchen selbst erklären müssen. Aber zunächst mal müssen wir Charlie finden. Ich bin sicher, sie hält sich irgendwo versteckt und wartet darauf, mit ihrer Schwester Kontakt aufnehmen zu können“, sagte Dolly. „Jetzt wird mir auch klar, warum das Kind gestern so außer sich war! Sie hatte eine Verabredung mit ihrer Schwester! Vermutlich wollten sie sich wieder ablösen, sie müssen das einen um den anderen Tag getan haben, wer weiß, wie lange. Es ist nicht zu glauben, daß sie das durchgehalten haben!“
„Das erklärt auch den gewaltigen Appetit! Wenn man nur jeden zweiten Tag etwas zu essen bekommt – du lieber Himmel, ich möchte wirklich wissen, was hinter der Geschichte steckt. Und warum uns niemand gesagt hat, daß Charlie noch eine Zwillingsschwester hat!“
Während Klaus zur Burg zurücklief, machte sich Madame Monnier, die rundliche, kleine Französischlehrerin, in ihrem Garten zu schaffen. Seit sie mit ihrem Mann in das alte, behagliche Fischerhaus gezogen war, hatte sie – zwar spät erst, aber gewissenhaft und leidenschaftlich
– die Kunst des Haushaltführens und Gärtnerns erlernt und aus ihrem romantischen Haus ein kleines Paradies gemacht.
Ein Geräusch hinter der Garage ließ sie beunruhigt aufschauen. Wer versteckte sich da? Ein Einbrecher? Oder war es nur eine der Katzen, die eine Maus entdeckt hatte? Wenn sich nun jemand anschleichen und sie überwältigen wollte? Zu dumm, daß ihr Mann gerade jetzt ins Dorf hinuntergefahren war!
Madame Monnier nahm all ihren Mut zusammen, griff nach der Hacke, packte sie fest mit beiden Händen und ging langsam zur Garage hinüber. Vor der Ecke zögerte sie und lauschte. Atmete da nicht jemand? Oder war es Einbildung…
Vorsichtig schob sie sich näher heran und lugte um die Ecke. Da kauerte jemand an der Wand, hielt erschöpft die Augen geschlossen und atmete in kurzen, heftigen Stößen.
„Charlotte! Kind, wie kommst du hierher? Ich habe gedacht, du bist krank? Du hast hohes Fieber, hat man mir gesagt! Warum bist du gelaufen aus der Krankenstation?“
Charlie starrte die Französischlehrerin mit aufgerissenen Augen an.
„Was haben Sie da gesagt, Madame? Isa ist krank? Ist es schlimm?“
„Ich weiß nicht, was du redest! Wer ist Isa?“
Madame Monnier lauschte – atmete da nicht jemand?
„Isa – oh, ich…“ Charlie rutschte die Wand hinunter, bis sie ganz am Boden kauerte und verbarg das Gesicht in den Händen. „Oh, Madame, wenn Sie wüßten! Es ist alles so hoffnungslos! Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll!“
Das allerdings wußte Madame Monnier auch nicht. Hilflos stand sie vor dem verzweifelten Mädchen und überlegte, was sie von der ganzen Geschichte halten sollte. Aber nur kurz. Dann beugte sie sich zu Charlie hinunter und zog sie an sich.
„Nun komm erst mal ins Haus, ma petite. Dann wirst du mir erzählen alles in Ruhe. Du wirst trinken eine kleine Schluck gutes französisches Wein, und deine Madame wird sehen, wie sie dir helfen kann.“
Charlie ließ sich von der rundlichen, kleinen Frau willig ins Haus schieben und auf einen Sessel verfrachten. Sie bekam ein Glas Wein, das Madame mit einem Schluck Johannisbeerlikör würzte. Der Wein wirkte wunderbar beruhigend und zugleich aufmunternd, Charlie fand endlich den Mut zu sprechen.
„Das Mädchen auf der Krankenstation, Madame, von dem sie vorhin sprachen – das war nicht ich.
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