Dolly - 13 - Ueberraschung auf der Burg
sollte, gleichgültig, daß um zwölf Uhr der Bus die Eisenbahnerinnen zum Zug bringen sollte, die halbgepackten Koffer stehen blieben, daß die Schränke unausgeräumt blieben, Hefte und Bücher vergeblich in den Klassenräumen darauf warteten, eingesammelt zu werden. Eine nach der anderen suchte einen Vorwand, sich in der Nähe der Krankenstation aufzuhalten. In Gängen und Winkeln standen sie, hockten auf den Treppenstufen, und von Minute zu Minute wurden es mehr.
Pöttchen schimpfte.
„Kinder, das hat doch keinen Sinn. So etwas kann Stunden dauern, ja, vielleicht wird das Baby erst in der kommenden Nacht geboren!”
Aber als oben Schwester Gerda aus dem Krankenzimmer gestürzt kam und in ihr Büro hinüberrannte, wo sie eilig den Arzt anrief und ihn bat, sofort zu kommen, da ließ sich auch die alte Lehrerin auf den Treppenstufen nieder und wartete inmitten der Mädchen. Ihr Gesicht schien ungewöhnlich blaß, und ihre Hände krampften sich um ein Taschentuch, das sie immer wieder zusammenknüllte, auseinanderfaltete, um es gleich darauf wieder zusammenzuknüllen.
Nach einer Weile gesellte sich auch Fräulein Wieland zu ihnen, dann kam Fräulein Innig und schließlich Herr Wollert.
„Hast du etwas von Isabella gehört?” flüsterte Vivi. „Hat sie Herrn Schwarze erreicht?”
„Noch nicht. Die Werkstatt wußte von nichts, er ist wohl in eine andere gefahren. Jetzt telefoniert sie überall herum. Charlie ist bei ihr.”
Eine Viertelstunde später tauchten Charlie und Isabella auf der Treppe auf.
„Na?”
„Die Werkstatt haben wir schließlich gefunden. Aber er war schon weg. Wollte noch etwas erledigen, hat er dort gesagt. Aber was, wußten sie nicht.”
Jetzt kam der Arzt. Er warf einen erstaunten Blick auf die Riesenversammlung auf der Treppe, hielt sich aber nicht weiter mit Fragen auf. Ohne ein Wort verschwand er im Krankenzimmer und schloß die Tür, bevor jemand eine Frage stellen konnte. Aus dem Zimmer drang leises Stöhnen. Wie ein Echo kam das Stöhnen von der Treppe zurück und wiederholte sich bei jedem Laut, der aus dem Zimmer drang. Schwester Gerda rannte hin und her, holte dies und das und schien die Gesellschaft auf der Treppe gar nicht zu bemerken, so beschäftigt war sie.
Vor dem Portal rollten die ersten Wagen an. Die Busse fuhren vor. Die Mädchen aus dem Ostturm und dem Westturm verabschiedeten sich von ihren Lehrern und Hausmüttern und fuhren davon. Die Busse füllten sich. Nur der Bus für den Nordturm stand verwaist da, als hätte er sich im Datum geirrt.
Herr Reichberg, Olivias Vater, fuhr mit Vollgas in den Parkplatz ein und hupte. Er hatte sich verspätet, vermutlich warteten die Mädchen schon ungeduldig. Er sprang aus dem Wagen und sah sich um. Wo steckten die beiden? Sonst kamen sie ihm doch immer entgegengelaufen und konnten ihm nicht schnell genug um den Hals fallen?
Kopfschüttelnd machte er sich auf den Weg in den Nordturm. Das Büro der Hausmutter war leer. Durch Gänge, Treppen und Schlafsäle irrten Eltern auf der Suche nach ihren Töchtern oder wenigstens einem Menschen, der ihnen sagen konnte, was hier geschehen war.
„Es ist doch wohl keine Epidemie ausgebrochen?” sagte Isabellas Vater besorgt.
„Das ist richtig gespenstisch”, murmelte Ullas Mutter beunruhigt. „Halbgepackte Koffer, aufgerissene Schranktüren, es erinnert an eine plötzliche Flucht.”
„Kommen Sie, gehen wir zum Büro der Direktorin hinüber”, schlug Herr Reichberg vor. „Dort wird man uns ja sagen können, was geschehen ist.” Gemeinsam gingen sie zum Verwaltungstrakt der Burg hinüber. Herr Reichberg zog die schwere Tür auf und ließ Ullas Mutter vortreten.
„Im ersten Stock rechts ist es”, sagte Julianes Mutter ängstlich und wandte sich zu ihrem Mann uni. „Merkwürdig, auch hier ist es totenstill. Hoffentlich finden wir überhaupt jemanden.”
Doch als sie die Treppe zum ersten Stock hinaufgestiegen waren, bot sich ihnen ein verblüffender Anblick. Mucksmäuschenstill hockten da die Gesuchten mit ihren Schulkameradinnen beieinander und rührten sich nicht von der Stelle. Sogar die Lehrer waren darunter.
„Ja, was zum Teufel soll denn das heißen…” Herr Reichberg kam nicht weiter. Ein empörtes „Pssst!” brachte ihn augenblicklich zum Schweigen.
Olivia winkte ihm heftig zu, er solle sich neben sie setzen. Dann informierte sie ihn flüsternd, was geschehen war.
Ähnlich erging es den anderen Eltern. Einer nach dem anderen nahm auf den Treppenstufen Platz und starrte nun
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