Dolly - 15 - Ein Möwenfest im Möwennest
geschrieben und sie über unsere Situation aufgeklärt. Ich habe ihnen über die Mädchen berichtet und meine Bewunderung für ihren Einsatz und ihre Initiative ausgesprochen. Ich habe ihnen auch gesagt, um wieviel schlimmer es nun für mich ist, ihnen die Enttäuschung nicht ersparen zu können, daß die enorme Summe, die sie zusammengetragen haben, nur ein Zehntel von dem ist, was wir für die Renovierung benötigen, und daß sie trotz aller Mühe Abschied von Möwenfels nehmen müssen. Aber glauben Sie, ich hätte auch nur eine Antwort auf meine Erklärungen bekommen? Es kamen nur Zusagen zum Elterntag, mehr Zusagen denn je. Diesmal scheinen alle Eltern kommen zu wollen, das gab es noch nie!“
„Ich würde das als ein positives Zeichen sehen“, beruhigte Dolly die Direktorin. „Vielleicht ziehen die Eltern der Mädchen es vor, diese Dinge persönlich mit Ihnen zu besprechen.“
„Ich fürchte eher, sie haben nicht begriffen, wie ernst die Lage ist.
Möglicherweise halten sie das alles für Schwarzmalerei!“
„Ja, niemandem fällt es leicht, sich vorzustellen, daß es die Burg
nicht mehr geben soll!“ seufzte Dolly. „Der Gedanke scheint so
absurd. Nun, was die Eltern der Mädchen betrifft, so wissen wir in ein
paar Tagen mehr. Es ist ja nicht einmal mehr eine Woche bis dahin.“ Es war noch eine knappe Woche bis zum Elterntag und bis zum
Beginn der Ferien, die wegen der Bauarbeiten vorverlegt worden
waren. Keiner wollte es so richtig glauben. Die Monate waren unter
all der Extraarbeit, den Konzerten, Ausstellungen, Burgführungen und
Diavorträgen so schnell vergangen wie nie zuvor. Sie hatten einfach
keine Zeit gehabt, es zu bemerken.
„Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, wie es sein wird, wenn
wir wieder ein ganz normales Schulalltagsleben führen sollen!“
seufzte Babsi. „So macht es doch viel mehr Spaß!“
„Das schon“, meinte Regine. „Aber mal wieder richtig Zeit für sich
selbst zu haben, für die eigenen Hobbys, ist doch auch ganz schön.“ „Endlich mal wieder in Ruhe Bücher lesen!“ sagte Hilda verträumt. „Und einen Nachmittag lang im Schwimmbad faulenzen!“ rief
Berti. „Wir wissen schon gar nicht mehr, wie das ist!“
„Da hast du recht.“
„Ich für meinen Teil werde ein Dankgebet zum Himmel schicken,
wenn diese unerträgliche Enge im Schlafsaal aufgehört hat. Wir leben
hier ja wie Vieh zusammengepfercht. Einfach unwürdig ist das!“ sagte
Alexa dramatisch, aber keiner beachtete sie, wenn sie zu jammern
begann.
Noch einmal flammte der Eifer auf, eine perfekte Vorstellung zu
bieten. In der Aula sollte es am Elterntag, nach der Begrüßungsrede
der Direktorin, eine bunte Show aus Sketchen, musikalischen
Darbietungen, humorvollen Gedichten auf das vergangene Schuljahr
und einen Einakter geben. Die meisten Nummern waren bereits
mehrmals aufgeführt und publikumserprobt, so daß von Lampenfieber
kaum die Rede sein konnte.
Auf die sportlichen Wettkämpfe mußten sie diesmal verzichten,
denn nach dem Mittagessen und einer kleinen Ruhepause erwartete
Frau Direktor Greiling die Eltern zu einem Gespräch unter Ausschluß
der Schülerinnen in der Aula. Flüsternd stellten sie Mutmaßungen an,
was sie davon halten sollten. War es ein schlechtes Zeichen? Sollte
den Eltern mitgeteilt werden, was die Töchter dann erst zu Hause
erfahren würden – daß es kein Zurück nach Burg Möwenfels geben
würde, wenn die Ferien vorbei waren?
„Nur keine Panik!“ ermahnte Olivia die anderen. „Nichts ist
schlimmer, als sich über ungelegte Eier aufzuregen. Das spart euch
lieber für hinterher – wenn’s nötig sein sollte.“
„Weißt du irgend etwas?“
„Ich weiß überhaupt nichts!“ wehrte Olivia ab. „Aber dies ist mein
letzter Tag in Möwenfels vor den Ferien, und den möchte ich rundum
genießen!“
Pünktlicher denn je rollten die Wagen der Gäste heran. Viele Eltern
hatten sich zu Fahrgemeinschaften zusammengeschlossen oder
Bahnfahrer aus der Kreisstadt mitgenommen. Eine vorher nie dagewesene Vertrautheit schien sich zwischen ihnen angebahnt zu haben. Dolly, die zur Begrüßung hinausgegangen war, stellte es verwundert fest. Die Aula füllte sich rasch. Ungewöhnliche Spannung lag über dem Raum, der bis auf den letzten Platz besetzt war; sogar an den Wänden und in den Gängen standen dicht gedrängt die Mädchen, dazwischen Lehrer und Angestellte der Burg. Noch war der Vorhang geschlossen, ein Rednerpult stand auf dem äußeren Rand der Bühne,
von zwei Scheinwerfern
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