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Dom Casmurro

Dom Casmurro

Titel: Dom Casmurro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joaquim Maria Machado de Assis
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    Eine Heilige
    Es versteht sich, dass José Dias mich auf diesen Reisen nach Europa nur zu gern begleitet hätte, doch er musste sich um den inzwischen nahezu invaliden Onkel Cosme und um meine Mutter kümmern, die schnell alterte. Auch José Dias war alt, aber noch recht rüstig. Er begleitete mich bis aufs Schiff, um sich von mir zu verabschieden, und seine Worte, sein winkendes Taschentuch, seine Augen, die er immer wieder trocknen musste, rührten mich sehr. Beim letzten Mal kam er nicht mit an Bord.
    «Kommen Sie doch mi t …»
    «Ich kann nicht.»
    «Haben Sie Angst?»
    «Nein, ich kann einfach nicht. Leb wohl, Bentinho, ich weiß nicht, ob du mich noch einmal wiedersiehst, ich glaube, ich reise bald in das andere Europa, das ewig e …»
    Er reiste jedoch nicht sofort; zuerst ging meine Mutter. Suche auf dem Friedhof von São João Batista ein Grab ohne Namen, nur mit dieser Inschrift: «Eine Heilige». Dort liegt sie. Diese Inschrift kostete mich einige Mühe. Der Friedhofsvorsteher konsultierte den Vikar der Gemeinde, und dieser gab zu bedenken, dass Heilige auf dem Altar und im Himmel zu finden seien.
    «Aber verzeihen Sie», unterbrach ich ihn, «ich will damit doch nicht sagen, dass in diesem Grab eine heiliggesprochene Person liegt. Meine Absicht ist es, mit diesem Wort eine irdische Definition all jener Tugenden zu geben, die die Verstorbene zu Lebzeiten besessen hat. Und da die Bescheidenheit eine davon war, möchte ich diese auch über ihren Tod hinaus bewahren, indem ich ihren Namen nicht nenne.»
    «Aber der Name, die Eltern, die Jahreszahle n …»
    «Wen interessieren denn Jahreszahlen, Eltern, Namen, wenn ich nicht mehr bin?»
    «Sie wollen also sagen, dass sie eine heilige Frau war?»
    «Genau das. Wäre der Protonotar Cabral noch am Leben, würde er sofort bezeugen, was ich hier sage.»
    «Ich bezweifle ja gar nicht, dass es stimmt, ich zögere nur wegen der Formulierung. Sie kannten also den Protonotar?»
    «Ja, ich kannte ihn. Er war ein vorbildlicher Priester.»
    «Ein guter Kanoniker, ein guter Lateinkenner, fromm und gütig», bekräftigte der Pfarrer.
    «Und er besaß auch gesellschaftliche Tugenden», sagte ich. «Zu Hause hörte ich immer, dass er ein hervorragender Tricktrack-Spieler se i …»
    «Er konnte wunderbar würfeln!», seufzte der Priester. «Meisterlich!»
    «Dann meinen Sie als o …?»
    «Da die Inschrift keine andere Bedeutung trägt und auch nicht tragen könnte, sei es also erlaub t …»
    José Dias hatte diesen Verhandlungen überaus melancholisch beigewohnt. Am Ende, als wir den Friedhof verließen, schimpfte er auf den Pfarrer und hieß ihn einen Pedanten. Sein Verhalten könne einzig damit entschuldigt werden, dass er meine Mutter nicht gekannt habe; weder er noch die anderen Männer auf dem Friedhof.
    «Sie kannten sie nicht, denn wenn sie sie gekannt hätten, hätten sie ‹ Heiligste › einmeißeln lassen.»
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    Der letzte Superlativ
    Das war indes nicht José Dias’ letzter Superlativ. Es gab weitere, die es nicht zu erwähnen lohnt, aber dann kam der letzte, der beste, der lieblichste, der seinen Tod zu etwas Lebendigem machte. Damals wohnte er bereits bei mir. Obwohl meine Mutter ihm eine kleine Erbschaft hinterlassen hatte, wollte er sich nicht von mir trennen, Erbschaft hin oder her. Vielleicht hoffte er, auch mich noch beerdigen zu können. Er schrieb Capitu und bat sie, ihm ein Bild von Ezequiel zu schicken. Doch Capitu verschob dies von Brief zu Brief, sodass er bald nach nichts mehr verlangte außer nach dem Herzen des jungen Studenten. Er bat sie auch, Ezequiel weiterhin von dem alten Freund des Vaters und Großvaters zu erzählen, «den der Himmel dazu auserwählte, alle von diesem Blute zu lieben». So bereitete er seine Dienste für die dritte Generation vor. Doch der Tod kam vor Ezequiel. Die Krankheit raffte ihn schnell dahin. Ich ließ einen homöopathischen Arzt kommen.
    «Nein, Bentinho», sagte er. «Es reicht ein allopathischer, sterben muss man in jeder medizinischen Schule. Außerdem waren das Ideen aus meiner Jugendzeit, die mir mit der Zeit vergangen sind. Ich konvertiere zum Glauben meiner Eltern. Die Allopathie ist der Katholizismus der Medizi n …»
    Er starb ruhig, nach einem kurzen Todeskampf. Zuvor hatte er mitbekommen, dass der Himmel sehr schön sei, und er bat uns, das Fenster zu öffnen.
    «Nein, die Luft könnte Ihnen schaden.»
    «Schaden? Luft ist Leben.»
    Wir öffneten das Fenster. Der Himmel war wirklich

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