Dom Casmurro
sie nicht definitiv war und eine Wiedergutmachung offenließ, sollte es sie denn geben. Ich spreche nicht von Vergebung, sondern von Wiedergutmachung, das heißt Gerechtigkeit. Was immer der Grund war, ich wies den Tod zurück und wartete darauf, dass Capitu wiederkäme. Sie blieb länger fort als sonst, und ich fürchtete schon, sie sei zu meiner Mutter gegangen. Doch das war sie nicht.
«Ich habe Gott meinen ganzen Schmerz anvertraut!», sagte Capitu, als sie aus der Kirche zurückkehrte. «Eine innere Stimme hat mir gesagt, dass unsere Trennung unvermeidbar ist, und nun überlasse ich alles Weitere dir.»
Ihr Blick war verschleiert, als sie dies sagte, als hoffte sie insgeheim auf meinen Widerspruch oder einen Aufschub. Sie setzte auf meine Schwäche oder darauf, dass ich mir unsicher wäre über die Vaterschaft des anderen, doch da täuschte sie sich gründlich. Trug ich vielleicht einen anderen Mann in mir, der nun zum Vorschein kam, weil neue und starke Erlebnisse ihn geweckt hatten? In diesem Fall wäre das ein Mann, der vorher nur verborgen gewesen war. Ich antwortete ihr, ich würde darüber nachdenken, und dann würden wir das tun, was ich mir überlegt hätte. In Wahrheit, das sage ich euch, war bereits alles überlegt und beschlossen.
In der Zwischenzeit hatte ich mich an die Worte des verstorbenen Gurgel erinnert, der mir das Bild seiner Frau gezeigt hatte, die Capitu so ähnlich sah. Du wirst dich daran erinnern, und falls nicht, dann lies es in dem Kapitel nach, dessen Nummer ich hier nicht angebe, weil ich sie nicht mehr weiß; es liegt aber nicht allzu weit zurück. Die Worte besagten im Wesentlichen, dass es solch unerklärliche Ähnlichkeiten gib t … Am selben Tag noch und auch an den darauffolgenden kam Ezequiel in mein Arbeitszimmer, und die Züge des Kleinen waren eindeutig die des anderen, aber vielleicht achtete ich jetzt noch mehr darauf. Gleichzeitig erinnerte ich mich verschwommen an frühere Ereignisse, an Worte, Begegnungen und Vorfälle, in denen meine Blindheit nichts Böses gesehen und meine alte Eifersucht versagt hatte. Einmal hatte ich die beiden beispielsweise alleine angetroffen, und sie waren verstummt, worauf ich über ihre Geheimniskrämerei gelacht hatte. Auch sprach sie im Traum; all diese Erinnerungen stürmten nun auf mich ein und erdrückten mich fas t … Und warum hatte ich sie damals nicht erwürgt, als ich draußen zwei turtelnde Schwalben auf einer Telegrafenleitung beobachtet hatte und mich dann unvermittelt wieder dem Zimmer zuwandte? Drinnen turtelten meine beiden anderen Schwalben, die Blicke ineinander versenkt, so vorsichtig allerdings, dass sie sich alsbald voneinander lösten und mir ein freundliches, heiteres Wort zuwarfen. Ich erzählte ihnen von den verliebten Schwalben auf der Telegrafenleitung, und sie fanden es lustig. Escobar erklärte, ihm gefielen gebratene Schwalben zum Abendbrot besser als Schwalben auf der Telegrafenleitung. «Schwalbennester habe ich noch nie gegessen», fuhr er fort, «aber wenn die Chinesen sie erfunden haben, sind sie bestimmt köstlich.» Dann kamen wir auf die Chinesen und die Klassiker zu sprechen, die über sie geschrieben hatten, während Capitu sich anderen Aufgaben widmete, da wir sie langweilten, wie sie meinte. All das, was mir damals völlig unbedeutend erschienen war, fiel mir nun wieder ein.
141
Die Lösung
Hier sei nun gesagt, was wir taten. Wir packten unsere Sachen und reisten nach Europa; nicht zu unserem Vergnügen, und auch nicht, um uns etwas anzusehen, weder Altes noch Neues. Unser Ziel war die Schweiz. Eine Lehrerin aus Rio Grande, die mit uns gereist war, sollte Capitu dort Gesellschaft leisten und Ezequiel in seiner Muttersprache unterrichten. Alles Weitere sollte er in den heimischen Schulen lernen. Als wir unser Leben geregelt hatten, kehrte ich nach Brasilien zurück.
Nach einigen Monaten begann Capitu, mir Briefe zu schreiben, auf die ich kurz und knapp antwortete. Die ihren waren unterwürfig, ohne Hass, gelegentlich auch liebevoll und gegen Ende sehnsüchtig. Sie bat mich, sie besuchen zu kommen. Ein Jahr später schiffte ich mich ein, besuchte sie aber nicht, sondern ließ alles, wie es war. Als ich zurückkam, wollten die, die sich an sie erinnerten, Neuigkeiten hören. Ich erzählte sie ihnen, als hätte ich gerade mit ihr zusammengelebt. Natürlich unternahm ich die Reisen nur zu dem Zweck, dies vorzuspielen und die öffentliche Meinung zu täuschen. Eines Tages schließlic h
Weitere Kostenlose Bücher