Dom Casmurro
Schweigen und Versöhnung zu verlieren. Daher leugnete sie das Gehörte und gab nur das Gesehene zu. Ohne die Sache mit dem Kaffee zu erwähnen, wiederholte ich für sie meine Worte vom Ende des letzten Kapitels.
«Wie bitte?», fragte sie, als hätte sie etwas falsch verstanden.
«Er ist nicht mein Sohn.»
Capitus Erstaunen war riesengroß, und die nachfolgende Empörung nicht minder. Beides wirkte so natürlich, dass Augenzeugen unserer Auseinandersetzung ins Zweifeln geraten wären. Ich habe gehört, dass es Augenzeugen für die verschiedensten Anlässe geben soll, es sei alles nur eine Frage des Preises. Allerdings glaube ich das nicht, zumal die Person, die mir das erzählt hat, gerade einen Prozess verloren hatte. Doch ungeachtet der Frage, ob es gedungene Zeugen gibt oder nicht, war meine Zeugin echt. Es war nämlich die Natur selbst, die den Eid leistete, und an ihr wollte ich nicht zweifeln. Also wiederholte ich, ohne auf Capitus Worte und Gesten, auf ihren sichtlichen Schmerz oder irgendetwas anderes einzugehen, zweimal entschlossen meine Worte, bis sie sich nicht mehr wehrte. Nach einer Weile sagte sie: «Diese Beleidigung lässt sich nur damit erklären, dass du wirklich davon überzeugt bist. Aber warum hast du, der du sonst bei der winzigsten Geste eifersüchtig wurdest, nie auch nur das leiseste Misstrauen geäußert? Wie kommst du darauf? Sag es mir!», fuhr sie fort, als sie sah, dass ich nichts erwiderte. «Sag mir alles. Nach dem bereits Gehörten kann ich nun auch noch den Rest hören, viel kann es ja nicht mehr sein. Wie kommst du jetzt auf einmal zu dieser Gewissheit? Sag schon, Bentinho. Sag es mir! Jage mich aus dem Haus, aber sag mir vorher alles.»
«Es gibt Dinge, die lassen sich nicht sagen.»
«Dann lässt sich auch nicht die Hälfte sagen. Aber da du das schon getan hast, sag alles.»
Sie hatte sich an den Tisch gesetzt. Vielleicht war sie ein wenig verwirrt, aber ihre Haltung war nicht die einer Angeklagten. Ich bat sie ein weiteres Mal, nicht darauf zu bestehen.
«Doch, Bentinho, entweder du erzählst mir den Rest, damit ich mich verteidigen kann, sofern du mir dieses Recht zugestehst, oder ich bitte dich auf der Stelle um unsere Trennung. Ich kann nicht mehr!»
«Die Trennung ist bereits beschlossene Sache», erwiderte ich, auf ihren Vorschlag eingehend. «Es wäre besser, wir würden sie ohne große Worte oder ganz ohne Worte vollziehen. Ein jeder von uns würde seine Verletzung mit sich nehmen. Aber da du unbedingt darauf bestehst, sage ich dir hiermit, was ich dir zu sagen habe, und das war es dann.»
Ich sagte nicht alles. Denn es war nicht einfach, auf Escobars Liebe anzuspielen, ohne seinen Namen zu nennen. Capitu musste lachen. Es war ein Lachen, das sich leider unmöglich beschreiben lässt. Dann fügte sie in ironischem und melancholischem Ton hinzu: «Nicht einmal die Toten! Nicht einmal die Toten sind vor deiner Eifersucht gefeit!»
Sie zupfte ihren Umhang zurecht und erhob sich. Dann seufzte sie, zumindest glaube ich, dass sie seufzte, während ich, der ich einfach nur ihre volle Rechtfertigung verlangte, diesbezüglich irgendwelche Worte äußerte. Capitu sah mich verächtlich an und murmelte: «Ich weiß, wie du auf so etwas kommst; es ist diese zufällige Ähnlichkei t … Gottes Wille wird alles erkläre n … Du lachst? Ja natürlich, du glaubst trotz des Seminars nicht an Gott. Ich glaube an ih n … Aber lassen wir das. Wir sollten besser gar nichts mehr sagen.»
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Die Fotografie
Ich schwöre, um ein Haar hätte ich geglaubt, einer großen Täuschung, dem Hirngespinst eines Wahnsinnigen zum Opfer gefallen zu sein. Doch als Ezequiel hereinstürmte und rief: «Mama, Mama! Wir müssen in die Kirche!», stellte er meinen Sinn für die Realität wieder her. Capitu und ich blickten unwillkürlich auf Escobars Fotografie und sahen uns dann an. Diesmal wurde ihre Verwirrung zum eindeutigen Geständnis. Die beiden waren identisch. Bestimmt gab es ein Kinderfoto von dem kleinen Escobar, auf dem er genau unser kleiner Ezequiel war. Aus ihrem Mund kam indes kein Geständnis; sie wiederholte ihre letzten Worte, nahm den Sohn bei der Hand und ging mit ihm zum Gottesdienst.
140
Die Rückkehr aus der Kirche
Allein geblieben, wäre es jetzt nur natürlich gewesen, zu dem Kaffee zu greifen und ihn zu trinken. Doch nein, mein lieber Leser. Die Lust auf den Tod war mir vergangen. Der Tod war eine Lösung, aber ich hatte gerade eine andere gefunden, eine bessere, da
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