Dom Casmurro
stünde. Um jedoch jeglichen Verdacht der Nachahmung auszuschließen, beschloss ich, und daran erinnere ich mich noch gut, das Buch von Plutarch vor der Einnahme des Gifts wieder ins Regal zurückzustellen. Es sollte nicht neben mir gefunden und auch nicht darüber in der Zeitung berichtet werden wie über meine Hosenfarbe.
Der Diener brachte den Kaffee. Ich stand auf, räumte das Buch weg und trat an den Tisch, auf dem die Tasse stand. Im Haus rührte sich bereits etwas, es wurde Zeit, dass ich mich tötete. Meine Hand zitterte, als ich das Gift aus dem Papier wickelte. Trotzdem fand ich den Mut, die Flüssigkeit in die Tasse zu kippen. Ich rührte um, meine Augen schweiften umher, in Gedanken war ich bei der unschuldigen Desdemona. Das Schauspiel des Vorabends begann sich in die Realität jenes Morgens zu schieben. Doch Escobars Bild gab mir den Mut zurück, der mich zu verlassen drohte. Dort stand er, die Hand auf der Stuhllehne, den Blick in die Ferne gerichte t …
«Machen wir Schluss», dachte ich mir. Als ich gerade das Gift trinken wollte, fiel mir ein, dass es vielleicht besser wäre zu warten, bis Capitu und der Kleine zur Messe gegangen wären. Ich würde es nachher trinken, das war besser. Nach diesem Entschluss begann ich, in meinem Arbeitszimmer auf und ab zu wandern. Auf einmal vernahm ich Ezequiels Stimme im Flur. Ich sah, wie er hereinkam und schreiend auf mich zulief: «Papa! Papa!»
Da vollführte ich eine Geste, lieber Leser, die ich nicht mehr beschreiben kann, weil ich sie vollkommen vergessen habe. Du kannst mir jedoch glauben, dass sie schön und tragisch war. Der Anblick des Kleinen ließ mich zurückweichen, bis ich mit dem Rücken am Bücherregal stand. Ezequiel umklammerte meine Knie und stellte sich auf Zehenspitzen, als wollte er sich an mir hochziehen, um mir den üblichen Kuss zu geben. Während er an mir zerrte, rief er immer wieder: «Papa! Papa!»
137
Der zweite Impuls
Hätte ich nicht Ezequiel betrachtet, schriebe ich jetzt vermutlich nicht an diesem Buch, denn mein erster Impuls war, zu dem Kaffee zu laufen und ihn zu trinken. Ich griff sogar bereits nach der Tasse, doch der Kleine küsste mir wie üblich die Hand, und sein Anblick und sein Verhalten lösten einen anderen Impuls in mir aus, den ich hier nur ungern eingestehe. Doch nun sei es drum, alles soll gesagt werden. Nennt mich ruhig einen Mörder, ich werde nicht derjenige sein, der leugnet oder widerspricht. Mein zweiter Impuls war kriminell. Ich beugte mich zu Ezequiel hinunter und fragte ihn, ob er schon Kaffee getrunken habe.
«Ja, Papa, ich gehe jetzt mit Mama zum Gottesdienst.»
«Trink noch ein Tässchen, nur ein halbes.»
«Und du, Papa?»
«Ich lasse mir eine neue Tasse kommen. Los, trink!»
Ezequiel machte den Mund auf. Ich führte die Tasse mit derart zitternden Fingern an seinen Mund, dass ich den Kaffee fast verschüttete, doch ich war entschlossen, ihn notfalls auch in seinen Schlund zu kippen, sollte der Geschmack ihm zuwider oder der Kaffee zu kalt sein. Ich weiß nicht, was es war, das mich zurückschrecken ließ. Auf einmal stellte ich die Tasse ab, umarmte den Jungen und bedeckte sein ganzes Gesicht mit Küssen.
«Papa! Papa!», rief Ezequiel aus.
«Nein, nein, ich bin nicht dein Vater!»
138
Capitu tritt auf
Als ich den Kopf hob, sah ich Capitu vor mir stehen. Hier haben wir also eine weitere Szene, die an das Theater erinnert und doch so selbstverständlich ist wie die erste, denn Mutter und Sohn wollten schließlich zum Gottesdienst gehen, und Capitu verließ das Haus nie, ohne sich von mir zu verabschieden. Es waren indes nur noch kurze, eher kühle Wortwechsel, bei denen ich meist nicht einmal aufblickte, während sie mich stets erwartungsvoll ansah.
Ich weiß nicht, ob es an meinen Augen lag, aber Capitu wirkte leichenblass. Es folgte einer dieser Augenblicke des Schweigens, der ohne Übertreibung ein Jahrhundert zu währen schien, weil die Zeit in Krisenmomenten so langsam verstreicht. Capitu nahm Haltung an, schickte unseren Sohn hinaus und bat mich um eine Erklärun g …
«Es gibt nichts zu erklären», sagte ich.
«Es gibt sehr viel zu erklären. Ich verstehe weder deine noch Ezequiels Tränen. Was ist zwischen euch vorgefallen?»
«Hast du nicht gehört, was ich zu ihm gesagt habe?»
Capitu antwortete, sie habe Weinen und ein paar Wortfetzen gehört. Ich glaube, sie hatte alles klar und deutlich vernommen, doch das einzugestehen, hätte bedeutet, jede Hoffnung auf
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