Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten
vermittle, und zwar ebensosehr, wenn nicht noch mehr als der Lehrer. Nach einer kurzen Gesprächspause hörte ich ein eigenartig kratzendes Geräusch hinter dem Haus. Don Juan packte mich an Arm. Fast wollte ich in einer Schreckreaktion aufspringen. Bevor das Geräusch ertönte, war unser Gespräch mir als Selbstverständlichkeit vorgekommen. Aber als dann eine Pause eintrat und einen Moment Schweigen herrschte, war das merkwürdige Geräusch hereingeplatzt. In diesem Augenblick hatte ich die Gewißheit, daß unsere Unterhaltung ein ganz außerordentliches Ereignis war. Ich hatte das Gefühl, daß Don Juans und meine Worte wie eine Trennwand gewirkt hatten, die nun zerbrach, und daß jenes kratzende Geräusch draußen herumgeschlichen war und auf eine Chance gewartet hatte, um sich hereinzudrängen.
Don Juan befahl mir, gesammelt sitzenzubleiben und nicht auf die Umgebung zu achten. Das kratzende Geräusch erinnerte mich an das Rascheln einer auf hartem Boden dahinkriechen-den Schildkrötenschlange. Im selben Augenblick, als mir dieser Vergleich einfiel, hatte ich auch die visuelle Vision eines Nagetiers, wie jenes, das Don Juan mir auf seiner hohlen Hand gezeigt hatte. Mir war, als ob ich einschliefe und meine Gedanken sich in Bilder oder Träume verwandelten. Ich begann mit meiner Atemübung und hielt mir mit geballten Fäusten den Leib. Don Juan sprach weiter, aber ich hörte nicht zu. Meine Aufmerksamkeit galt dem leisen Rascheln des schlangenartigen Wesens, das über trockenes Laub zu gleiten schien. Bei dem Gedanken, eine Schlange könnte über mich hinweg kriechen, befiel mich Panik, und ich hatte eine heftige physische Reaktion. Unwillkürlich streckte ich meine Füße unter Don Juans Beine und atmete und blinzelte wie verrückt. Jetzt hörte ich das Geräusch so nah, daß es nur noch ein paar Schritte entfernt zu sein schien. Meine Panik stieg. Don Juan sagte beruhigend, die einzige Möglichkeit, das »Nagual« abzuwehren, bestehe darin, sich nicht beeindrucken zu lassen. Er befahl mir, meine Beine auszustrecken und nicht auf das Geräusch zu achten. Nachdrücklich verlangte er, ich solle schreiben oder Fragen stellen und mich anstrengen, um nicht zu unterliegen.
Nach einem heftigen inneren Kampf fragte ich ihn, ob etwa Don Genaro das Geräusch machte. Er sagte, es sei das »Nagual« und ich dürfe die beiden nicht verwechseln. Genaro sei der Name des »Tonal«. Dann sagte er noch etwas, aber ich verstand ihn nicht. Irgend etwas umkreiste das Haus, und ich konnte mich nicht auf das Gespräch konzentrieren. Er befahl mir, eine äußerste Anstrengung zu unternehmen. Irgendwann stellte ich fest, daß ich dummes Zeug über meine eigene Wertlosigkeit plapperte. Dann hatte ich einen Angstanfall, der in einen Zustand großer Klarheit umschlug. Nun sagte Don Juan mir, ich dürfe ruhig in die Nacht horchen. Aber es war kein Geräusch mehr zu hören.
»Das Nagual ist weg«, sagte Don Juan, stand auf und ging ins Haus. Er zündete Don Genaros Petroleumlampe an und bereitete uns etwas zu essen. Wir aßen schweigend. Ich fragte ihn, ob das »Nagual« zurückkommen werde.
»Nein«, sagte er mit ernstem Gesicht. »Es hat dich nur auf die Probe gestellt. Um diese Nachstunde, kurz nach der Dämmerung, solltest du dich immer mit irgend etwas beschäftigen. Egal, womit. Es ist nur eine kurze Spanne, vielleicht eine Stunde, aber in deinem Fall eine tödliche Stunde. Heute abend versuchte das Nagual, dich zum Straucheln zu bringen, aber du warst stark genug, um seinen Angriff abzuwehren. Einmal bist du ihm unterlegen, und ich mußte deinen Körper mit Wasser begießen, aber diesmal hast du es gut gemacht.« Ich bemerkte, das Wort »Angriff« gebe dem Ganzen einen Anklang von Gefahr.
»Anklang von Gefahr? - Komische Ausdrucksweise!« sagte er. »Ich will dir keine Angst einjagen. Die Taten des Nagual sind tödlich. Das habe ich dir bereits gesagt. Und auch Genaro will dir keinen Schaden zufügen. Im Gegenteil, seine Sorge um dich ist makellos, aber wenn du nicht genug Kraft hast, um die Attacke des Nagual zu parieren, dann bist du tot, mit oder ohne meine Hilfe oder Genaros Fürsorge.« Nachdem wir gegessen hatten, setzte Don Juan sich neben mich und schaute mir über die Schulter auf meine Aufzeichnungen. Ich sagte mir, ich werde wahrscheinlich Jahre brauchen, um mir über alles klarzuwerden, was mir heute widerfahren war. Ich wußte, daß ich von Wahrnehmungen überflutet worden war, die ich nie hoffen durfte zu
Weitere Kostenlose Bücher