Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten
Sensationen. Ich weiß, es wird dir gelingen. Der Zeitpunkt deiner Spaltung war richtig. Die Kraft hat das alles eingerichtet. Jetzt hängt alles von dir ab. Wenn du stark genug bist, wirst du den Schock, gespalten zu sein, ertragen. Aber wenn du ihn nicht bestehen kannst, dann wirst du zugrunde gehen. Du wirst verwelken, abmagern, blaß, gedankenleer, reizbar, still werden.«
»Hättest du mir vor Jahren gesagt«, meinte ich, »was du und Don Genaro vorhabt, dann hätte ich genug . . .« Er hob die Hand und ließ mich nicht ausreden. »Das ist ein sinnloser Spruch«, sagte er. »Du hast mir vor Jahren einmal gesagt, daß du schon längst ein Zauberer wärst, wenn da nicht dein Starrsinn und deine Vorliebe für rationale Erklärungen wären. Aber ein Zauberer zu sein bedeutet in deinem Fall, daß du deinen Starrsinn und deine Sucht nach rationalen Erklärungen, die dir im Wege stehen, überwindest. Andererseits sind diese Fehler gerade dein Weg zur Kraft. Du kannst nicht behaupten, daß die Kraft dir zufließen würde, wenn dein Leben anders wäre. Genaro und ich müssen ebenso handeln wie du - innerhalb gewisser Grenzen. Diese Grenzen zieht die Kraft, und ein Krieger ist gewissermaßen ein Gefangener der Kraft, ein Gefangener, dem eine Freiheit bleibt: die Freiheit, entweder wie ein makelloser Krieger zu handeln oder wie ein Esel zu handeln. Letzten Endes ist der Krieger vielleicht kein Gefangener, sondern ein Sklave der Kraft, denn diese Freiheit ist für ihn keine Freiheit mehr. Genaro kann nicht anders handeln als makellos. Handelte er wie ein Esel, dann würde es ihn auszehren und seinen Tod herbeiführen. Du fürchtest dich deshalb vor Genaro, weil er das Mittel der Furcht benutzen muß, um dein Tonal schrumpfen zu lassen. Dein Körper weiß das, wiewohl deine Vernunft vielleicht nicht, und daher will dein Körper davonrennen, jedesmal wenn Genaro erscheint.« Ich warf ein, daß ich gern wissen würde, ob Don Genaro mich absichtlich zu erschrecken versucht habe. Das »Nagual«, sagte er, mache seltsame Dinge - Dinge, die nicht vorhersehbar seien. Als Beispiel führte er an, was am Vormittag zwischen uns geschehen war, als er mich daran hinderte, über die linke Schulter nach dem auf dem Baum sitzenden Don Genaro zu schauen. Er wisse wohl, sagte er, was sein »Nagual« getan hatte, obwohl er dies unmöglich im voraus habe wissen können. Er erklärte den Vorfall folgendermaßen: Meine plötzliche Bewegung nach links sei ein Schritt hin zu meinem Tod gewesen, den mein »Tonal« absichtlich als selbstmörderischen Sprung versuchte. Diese Bewegung habe sein »Nagual« auf den Plan gerufen, und die Folge sei gewesen, daß ein Teil von ihm auf mich gefallen sei. Unwillkürlich äußerte ich meine Bestürzung. »Deine Vernunft sagt dir schon wieder, daß du unsterblich bist«, sagte er. »Was meinst du damit, Don Juan?«
»Ein unsterbliches Wesen hat alle Zeit auf Erden für Zweifel und Verwirrung und Angst. Ein Krieger hingegen kann sich nicht an die nach der Ordnung des Tonal getroffenen Sinngebungen klammern, denn er weiß gewiß, daß der Ganzheit seines Selbst nur kurze Zeit auf Erden beschieden ist.« Ich erhob einen ernsthaften Einwand. Meine Zweifel und Ängste und meine Verwirrung fanden nämlich nicht auf bewußter Ebene statt, und wie sehr ich auch versuchte, sie zu kontrollieren - jedesmal wenn ich es mit Don Juan und Don Genaro zu tun hatte, kam ich mir hilflos vor. »Ein Krieger darf nicht hilflos sein«, sagte er, »oder verwirrt oder ängstlich -unter keinen Umständen. Ein Krieger hat nur Zeit für seine Makellosigkeit. Alles andere zehrt seine Kraft auf. Makelloses Tun lädt sie wieder auf.«
»Damit sind wir wieder bei der alten Frage, Don Juan. Was ist Makellosigkeit?«
»Ja, da sind wir wieder bei deiner alten Frage, und folglich sind wir wieder bei meiner alten Antwort: Makellos handeln heißt, dein Bestes zu tun, ganz egal, was du tust.«
»Aber, Don Juan, mir geht es doch darum, daß ich stets den Eindruck habe, ich täte mein Bestes, und offensichtlich tue ich es doch nicht.«
»Es ist nicht so kompliziert, wie du es darstellst. Der Schlüssel zu all diesen Fragen nach der Makellosigkeit ist das Gefühl, Zeit zu haben oder keine Zeit zu haben. Als Faustregel mag gelten: Wenn du dich wie ein unsterbliches Wesen fühlst, das alle Zeit auf Erden hat und dementsprechend handelt, dann bist du nicht makellos. In solchen Momenten solltest du dich umdrehen, in die Runde schauen, und dann wirst
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