Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten
haben.
Diesen Ausdruck hörte ich zum erstenmal. Er entsprach einem anderen Begriff, den Don Juan zu Beginn unserer Verbindung eingeführt hatte. Er hatte mir gesagt, ich sei sein »escogido«, sein Erwählter. Das Wort »protegido« heißt soviel wie Schützling.
Ich befragte Pablito nach seinen Begegnungen mit dem »Na-gual«, und er erzählte mir die Geschichte, wie er zum erstenmal mit ihm zusammengetroffen war. Einmal, sagte er, hatte Don Juan ihm einen Korb geschenkt, den er für eine Freundschaftsgabe angesehen hatte. Er hatte ihn an einen Haken über seiner Zimmertür gehängt, und da er im Augenblick keine Verwendung dafür wußte, vergaß er ihn für den Rest des Tages. Er war der Meinung gewesen, der Korb sei ein Geschenk der Kraft und müsse deshalb einen ganz besonderen Zweck finden.
Am frühen Abend - wie Pablito sagte, war dies auch seine lebensgefährliche Stunde - ging er dann in sein Zimmer, um seine Jacke zu holen. Er war allein im Haus, und wollte eben aufbrechen, einen Freund zu besuchen. Im Zimmer war es dunkel. Er griff nach der Jacke, und als er die Hand nach der Türklinke ausstreckte, fiel der Korb herab und rollte ihm vor die Füße. Pablito lachte über seinen Schrecken, sobald er sah, daß bloß der Korb von seinem Haken gefallen war. Er bückte sich, um ihn aufzuheben, und nun erlebte er den Schock seines Lebens. Der Korb sprang vor ihm davon und fing an zu wackeln und zu knarren, als ob jemand ihn drückte und preßte. Aus der Küche, erzählte Pablito, fiel genügend Licht herein, daß man alles im Zimmer klar erkennen konnte. Eine Weile starrte er den Korb an, obwohl er irgendwie wußte, daß das falsch war. Nun begann der Korb sich unter tiefen, ächzenden und mühsamen Atemzügen zu verformen. Pablito behauptete, daß er tatsächlich den Korb atmen gesehen und gehört habe und daß er lebendig gewesen sei und ihn im Zimmer herumgehetzt habe, wobei er ihm den Ausgang ver sperrt habe. Dann blähte der Korb sich auf, alle Bambusstreben lockerten sich, und er verwandelte sich in einen riesigen Ball, der Pablito wie eine Steppenhexe vor die Füße kollerte. Dieser fiel auf den Rücken, und der Ball rollte seine Beine herauf. Pablito war inzwischen, wie er sagte, völlig von Sinnen und schrie hysterisch. Der Ball hielt ihn gefangen und wälzte sich weiter über seine Beine herauf, wobei er das Gefühl hatte, überall von Nadeln durchbohrt zu werden. Er versuchte ihn fortzustoßen, und nun bemerkte er, daß der Ball Don Juans Gesicht war, dessen Mund offenstand, bereit, ihn zu verschlingen. An diesem Punkt konnte er seine Panik nicht mehr meistern und wurde ohnmächtig.
Pablito berichtete ganz ungefangen und frei über eine Reihe von furchterweckenden Zusammenkünften, die Mitglieder seiner Familie mit dem »Nagual« gehabt hätten. So unterhielten wir uns stundenlang. Er schien im gleichen Dilemma zu stecken wie ich, schien sich aber entschieden geschickter im Bezugssystem der Zauberer zurechtzufinden. Irgendwann aber stand er plötzlich auf und meinte, er habe das Gefühl, Don Juan werde jeden Augenblick auftauchen, und er wolle ihm hier nicht begegnen. In größter Eile machte er sich davon. Es war, als habe ihn irgend etwas aus dem Zimmer gezogen. Ich hatte noch nicht einmal Aufwiedersehn gesagt - weg war er schon!
Kurz darauf kamen Don Juan und Don Genaro nach Hause. Sie lachten.
»Pablito raste die Straße entlang wie die arme Seele vor dem Leibhaftigen«, sagte Don Juan. »Ich frage mich, warum bloß?«
»Ich glaube, er bekam es mit der Angst, als er sah, wie Carlitos sich die Finger wundschreibt«, sagte Don Genaro und äffte meine Schreibbewegungen nach. Er trat neben mich. »Heh! Ich habe eine Idee«, sagte er beinah flüsternd. »Da du so gern schreibst, warum lernst du nicht, mit dem Finger statt mit einem Bleistift zu schreiben. Das wäre doch ein Ding!« Don Juan und Don Genaro setzten sich neben mich und lachten sich kaputt, während sie über die Möglichkeit speku lierten, mit dem Finger zu schreiben. Don Juan machte plötzlich mit ernster Stimme eine seltsame Bemerkung: »Kein Zweifel, daß er mit dem Finger schreiben könnte, aber würde er es auch lesen können?«
Don Genaro lachte los und meinte dann: »Ich bin überzeugt, er kann alles lesen.« Und dann erzählte er eine sehr merkwürdige Geschichte über einen Bauerntölpel, der in einer Zeit des politischen Umsturzes in hohe Ämter aufgerückt war. Der Held der Geschichte, sagte Don Genaro, war Minister oder
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