Don Quixote von la Mancha: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
daß, wenn sein Bildnis nicht immer in meiner Seele lebte, ich ihn gewiß nicht erkannt hätte. Ich erkannte ihn, verwunderte und freute mich; er sah mich an, ohne daß es mein Vater bemerkte, vor dem er sich immer verbirgt, wenn er auf dem Wege und in den Herbergen je zuweilen an meiner Seite ist; und da ich nun weiß, wer er ist und bedenke, daß er aus Liebe zu mir zu Fuß und so mühselig reist, bin ich so geängstigt, daß ich vor Bekümmernis sterben möchte, und wo er seine Füße hinsetzt, werfe ich meine Augen hin. Ich weiß nun nicht, was er will, und wie er seinem Vater hat entlaufen können, der ihn außerordentlich liebt, weil er keinen anderen Erben hat, und weil er es in der Tat verdient, wie Ihr auch finden werdet, wenn Ihr ihn seht. So kommt auch alles, was er singt, aus seinem Kopfe, denn ich habe von ihm sagen hören, daß er sehr gelehrt und ein guter Poet ist; sooft ich ihn nur sehe oder singen höre, zittere ich und bin in der größten Angst, daß mein Vater ihn erkennen und hinter unsere Gesinnungen kommen möchte. Ich habe noch im Leben kein Wort mit ihm gesprochen, aber doch liebe ich ihn so sehr, daß ich ohne ihn nicht leben kann. Das ist, liebste Señora, alles, was ich Euch von diesem Sänger sagen kann, dessen Stimme Euch so sehr gefallen hat, und Ihr werdet nun wohl sehen, daß es kein Maultierbursche ist, wie Ihr glaubtet, sondern ein Herrscher über Seelen und Herrschaften, wie ich Euch erst gesagt habe.«
»Beruhigt Euch, Doña Klara«, sagte hierauf Dorothea, indem sie sie tausendmal küßte; »ich sage, beruhigt Euch und erwartet in Geduld den Tag, denn ich hoffe mit Gottes Hilfe Eure Sache so zu führen, daß sie ein so glückliches Ende erreicht, als ein so guter Anfang verdient.«
»Ach, Señora!« sagte Doña Klara, »welch ein Ende kann ich erwarten, wenn sein Vater so vornehm und reich ist, daß ich es kaum verdiene, die Magd seines Sohnes, viel weniger seine Gemahlin zu sein? Mich aber ohne Wissen meines Vaters zu verheiraten, könnte ich um alles in der Welt nicht tun; ich wünschte nur, daß der junge Mensch umkehrte und mich verließe, denn vielleicht, wenn ich ihn nicht sehe und viele Meilen zwischen uns liegen, wird dieser Schmerz gelindert, den ich jetzt empfinde, obgleich ich freilich glaube, daß mir dieses Mittel nicht viel helfen wird. Ich weiß nicht, welcher Teufel es gemacht hat oder wo alle die Liebe in mir hergekommen ist, da ich so jung bin und er so jung ist, denn ich glaube, daß wir in einem Alter sind, und ich bin noch keine sechzehn Jahre alt, sondern werde es erst auf künftigen Michaelistag, wie mir mein Vater gesagt hat.
Dorothea mußte lachen, da sie Doña Klara so wie ein Kind reden hörte, worauf sie sagte: »Wir wollen noch, Señora, die wenige Zeit über schlafen, die von der Nacht übrig ist, es wird Tag werden, und wir wollen ein Mittel finden, oder ich müßte sehr ungeschickt sein.«
Hierauf schliefen sie ein, und in der ganzen Schenke herrschte das größte Stillschweigen. Nur die Tochter der Wirtin und die Magd Maritorne schliefen nicht, diese, die das Übel kannten, an welchem Don Quixote krankte, und wußten, daß er draußen vor der Schenke zu Pferde und bewaffnet hielt, um zu wachen, nahmen sich vor, einen Spaß mit ihm zu treiben oder wenigstens die Zeit damit zu verkürzen, seinen Torheiten zuzuhören.
In der ganzen Schenke war kein Fenster, das auf das Feld hinausgegangen wäre, als eine Luke, zu welcher man das Stroh herauswarf. An diese Luke stellten sich die beiden Halbjungfrauen und sahen, wie Don Quixote zu Pferde saß, auf seine Stange gestützt, von Zeit zu Zeit schmerzliche und tiefe Seufzer ausstoßend, als wenn ihm mit jedem die Seele entweichen wollte; zugleich hörten sie, wie er mit sanfter, feierlicher und verliebter Stimme klagte: »O du meine Gebieterin Dulcinea von Toboso, Ausbund aller Schönheit, Blüte jedes Verstandes, Archiv alles Witzes, Niederlage jeder Tugend, Ideal aller Vollkommenheiten und alles Schönen und Edlen, das nur in der Welt ist! Was beginnt jetz und deine Hoheit? Wendest du vielleicht die Gedanken auf deinen gefangenen Ritter, der sich so großer Gefahren, bloß um dir zu dienen, aus freier Willkür unterzogen hat? Gib du mir Nachricht von ihr, o du Leuchtende mit dem dreifachen Antlitze, vielleicht betrachtest du das ihrige jetzt mit Neid, indem sie durch eine Galerie ihres herrlichen Palastes wandelt oder sich mit dem Busen über einen Balkon hinauslehnt und erwägt, wie sie, ihrer
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