Don Quixote von la Mancha: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Herr, diesem ehrlichen Manne habe ich vor einiger Zeit zehn Dukaten in Gold geliehen, weil ich glaubte, ein gutes und christliches Werk damit zu tun, unter der Bedingung, daß er sie mir wiedergeben sollte, wenn ich sie fordern würde; es ist eine lange Zeit vergangen, ohne daß ich sie gefordert hätte, um ihn nicht in eine größere Verlegenheit zu setzen, wenn er sie mir wiedergeben müßte, als die gewesen war, als ich sie ihm lieh. Da es mir aber endlich schien, daß er gar nicht ans Wiederbezahlen denke, habe ich sie einmal und dann mehrmals von ihm gefordert; und nicht allein gibt er sie mir nicht wieder, sondern er leugnet mir auch noch ab und sagt, daß ich ihm niemals diese zehn Dukaten geliehen hätte, und wenn ich sie ihm geliehen hätte, habe er sie mir schon zurückgegeben. Ich habe nun keine Zeugen, daß er sie geliehen oder wiedergegeben, denn er hat sie mir noch nicht wiedergegeben; ich wollte nun Euer Gnaden bitten, ihm einen Schwur abzunehmen, und wenn er schwört, daß er sie zurückgegeben hat, so will ich sie ihm hier und jenseits geschenkt haben.«
»Was sagt Ihr dazu, alter Mann mit dem Stocke?« fragte Sancho. Worauf der Alte sagte: »Ich, gnädiger Herr, bekenne, daß er sie mir geliehen hat, laßt nur Euren Stab nieder, da er doch auf den Schwur besteht, denn ich will schwören, daß ich sie ihm wiedergegeben und ihn ehrlich und wahrhaftig bezahlt habe.«
Der Statthalter ließ den Stab nieder, und indessen gab der Alte mit dem Stocke den Stock dem anderen Alten, daß er ihn halten möchte, indes er schwöre, als wenn er ihm hinderlich falle, und sogleich legte er die Hand auf das Kreuz des Stabes und sagte: Es sei wahr, daß jener ihm die zehn Dukaten geliehen habe, die von ihm gefordert würden, daß er sie ihm aber aus seiner Hand in die seinige gegeben habe, und daß er sie nur aus Unbedacht zuweilen noch einmal von ihm fordere.
Als dies der große Statthalter sah, fragte er den Gläubiger, was er hierauf seinem Gegner zu antworten habe; worauf dieser sagte, daß sein Schuldner ohne allen Zweifel die Wahrheit sprechen müsse, denn er halte ihn für einen ehrlichen Mann und guten Christen, daß er es wohl nur vergessen habe, wie und wann sie bezahlt worden, und daß er ihn in Zukunft nicht mehr mahnen wolle. Sein Schuldner nahm hierauf seinen Stock wieder, verneigte sich und verließ den Gerichtssaal. Als dies Sancho sah, daß er mir nichts dir nichts fortging und auch die Geduld des Klägers bemerkte, ließ er den Kopf auf die Brust niederfallen, legte den Zeigefinger der rechten Hand an Nase und Augenbrauen und blieb so ein Weilchen sitzen, worauf er den Kopf wieder erhob und sagte, daß man den Alten mit dem Stocke rufen solle, der schon weggegangen war. Sie brachten ihn, und sowie ihn Sancho sah, sagte er zu ihm: »Gebt mir doch, lieber Mann, diesen Stock, denn ich will ihn brauchen.«
»Sehr gern«, antwortete der Alte, »hier ist er, gnädiger Herr«, und gab ihm denselben in die Hand; Sancho nahm ihn, gab ihn dem anderen Alten und sagte: »Nun geht in Gottes Namen, denn Ihr seid bezahlt.«
»Ich, gnädiger Herr?« antwortete der Alte, »wie wäre denn dieses Rohr wohl zehn Dukaten wert«?
»Ja«, sagte der Statthalter, »ist es aber nicht, so bin ich der größte Klotz auf Erden, und nun soll man sehen, ob ich nicht Kopfs genug habe, um ein ganzes Königreich zu regieren«; worauf er befahl, daß man vor aller Augen das Rohr in Stücke brechen solle. Es geschah, und in der Höhlung desselben fand man die zehn goldenen Taler. Alle waren erstaunt und hielten ihren Statthalter für einen neuen Salomo. Man fragte ihn, woraus er denn geschlossen habe, daß sich in dem Rohre die zehn Dukaten befänden, und er antwortete, daß, als er gesehen habe, wie der Alte, welcher schwur, seinem Gegner während des Eides den Stock gab und hierauf schwur, daß er ihn wirklich und wahrhaftig bezahlt habe, und wie er nach dem Eide sich den Stock habe wiedergeben lassen, sei es ihm eingefallen, daß sich in diesem die verlangte Bezahlung befinden müsse, woraus man abnehmen könne, daß diejenigen, die regieren, wenn sie auch dumm sind, oft von Gott in ihren Urteilen gelenkt werden; daß er aber außerdem einen ähnlichen Fall von dem Pfarrer in seinem Dorfe habe erzählen hören, und daß er ein so gutes Gedächtnis besitze, um etwas nicht zu vergessen, woran er sich erinnern wolle, wie es wohl kein solches Gedächtnis auf der ganzen Insel gäbe. Der eine Alte ging nun beschämt, der andere
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