Don Quixote von la Mancha: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
und Diener stiegen von ihren Tieren ab, und nachdem sie sich unter den Zweigen hingestreckt hatten, überließ sich Sancho, der an diesem Tage viel geschmaust hatte, ohne weiteres einem tüchtigen Schlafe; Don Quixote aber, den seine Phantasien noch mehr als der Hunger wach erhielten, konnte kein Auge zutun, sondern schweifte und kreuzte mit seinen Gedanken durch tausend verschiedene Gebiete. Bald glaubte er in der Höhle des Montesinos zu sein, bald sah er die in eine Bäuerin verwandelte Dulcinea rennen und auf die Eselin springen, bald ertönten in seinen Ohren die Worte des weisen Merlin, der ihm die Bedingungen und die Art entdeckte, auf welche allein nur die Entzauberung der Dulcinea geschehen könne. Er war in Verzweiflung, wenn er die Saumseligkeit, das geringe Mitleid seines Stallmeisters Sancho betrachtete, der sich, soviel er wußte, erst fünf Streiche gegeben hatte, eine nur geringe und unbeträchtliche Anzahl gegen die vielen, die ihm noch übrig waren. Darüber stieg ein solcher Verdruß und Zorn in ihm auf, daß er zu sich selber sagte: »Wenn Alexander Magnus den Gordischen Knoten mit den Worten entzweihieb: ›gleichviel, entzweihauen oder auflösen!‹ und er dessenungeachtet der unumschränkte Herr von ganz Asien wurde, so kann sich auch ein Gleiches jetzt mit der Entzauberung der Dulcinea zutragen, wenn ich den Sancho auch gegen seinen Willen geißele. Denn wenn die Bedingung dieser Erlösung die ist, daß Sancho dreitausend und mehr Streiche empfange, was kümmert’s mich, ob er sie sich gibt oder ob sie ihm ein anderer zuteilt, denn das Wesentliche besteht darin, daß er sie empfange, mögen sie auch herkommen, woher sie immer wollen.«
Mit diesen Gedanken näherte er sich dem Sancho, nachdem er vorher den Zaum des Rosinante genommen und ihn so zurechtgemacht hatte, daß dieser ihm zur Geißel dienen konnte, und fing ihm an, den Gürtel aufzulösen (man meint, dieser habe nur vorn eine Schleife gehabt, von welcher seine Beinkleider gehalten wurden); er war ihm aber kaum nahe gekommen, als Sancho auch gleich ganz wach wurde und sagte: »Was ist das, wer faßt mich an und macht mir den Gürtel los?«
»Ich bin es«, antwortete Don Quixote, »weil ich deine Unterlassung gutmachen und meiner Qual Linderung verschaffen will; ich komme, dich zu geißeln, Sancho, und die Schuld zum Teil abzutragen, zu welcher du dich verpflichtet hast. Dulcinea vergeht, du lebst sorglos und ich sterbe vor Sehnsucht; und darum ziehe dich nur gutwillig aus, denn ich bin willens, dir in dieser Einsamkeit wenigstens zweitausend Streiche zu geben.«
»Ja nicht«, sagte Sancho, »haltet Euch ruhig oder, beim lebendigen Gott, die Tauben sollen uns hören können; die Streiche, die ich auf mich genommen habe, sollen freiwillige sein und ohne Gewalt geschehen, und jetzt habe ich keine Lust, mich zu geißeln, genug, daß ich Euch mein Wort gebe, mich zu geißeln und zu hauen, sobald ich Lust dazu habe.«
»Ich kann mich auf deinen Edelmut nicht verlassen, Sancho«, sagte Don Quixote, »denn dein Herz ist grausam, und so sehr du Bauer bist, ist dein Fleisch doch zärtlich.« Hierbei arbeitete er und bestrebte sich, ihm die Schleife aufzubinden. Als Sancho das wahrnahm, stand er auf und ergriff seinen Herrn, mit dem er sich umfaßte und herumschwenkte, worauf er ihm ein Bein unterschlug und ihn mit dem Gesicht nach oben auf die Erde hinschmiß; er stemmte ihm hierauf sein rechtes Knie auf die Brust und hielt ihm mit den Händen die seinigen so fest, daß er sich weder rühren noch regen konnte. Don Quixote sagte zu ihm: »Wie Verräter, du empörst dich gegen deinen Herrn und rechtmäßigen Gebieter? Das unterstehst du dich gegen den, der dich ernährt?«
»Was da von Verrat und Empörung«, antwortete Sancho, »ich helfe mir selbst, denn ich bin mein eigener Herr; Ihr versprecht mir hier, daß Ihr mich in Ruhe lassen und mich nicht zwingen wollt, mich zu geißeln, und ich lasse Euch los und ledig, wo nicht,
Mußt, Verräter, allhier sterben,
O du Feind der Doña Sancha.«
Don Quixote versprach es ihm und schwor ihm bei dem Leben seiner Gedanken, auch nicht einen Faden seines Gewandes anzurühren, und daß er es ganz seiner Willkür und Laune anheimstellen wolle, sich zu geißeln, wenn es ihm gefiele. Sancho stand auf und entfernte sich von dem Orte eine geraume Strecke, und indem er sich unter einen anderen Baum lagern wollte, fühlte er, wie ihm etwas an den Kopf stieß, worauf er mit der Hand tappte und zwei menschliche
Weitere Kostenlose Bücher