Don Quixote von la Mancha: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Mohrin ihre traurige Geschichte erzählte, heftete die Augen unverwandt auf sie ein alter Pilger, der auf die Galeere gekommen war, als der Vizekönig einstieg, und kaum hatte die Moriske ihre Rede geendet, als dieser sich zu ihren Füßen stürzte, sie umschlang und von tausend Seufzern und Tränen unterbrochen ausrief: »O Anna Felix, meine unglückselige Tochter, ich bin dein Vater Ricote, der wiedergekommen ist, dich zu suchen, weil er ohne dich nicht leben kann, denn du bist meine Seele.«
Bei diesen Worten tat Sancho die Augen auf und erhob den Kopf, den er niedergesenkt hielt, immer noch über den Unfall mit dem Herumschleudern nachdenkend. Er betrachtete den Pilger und erkannte ihn für den nämlichen Ricote, dem er an dem Tage begegnet war, als er seine Statthalterschaft verließ; er überzeugte sich auch, daß jene seine Tochter sei, die schon in den Armen des Vaters lag und ihre Tränen mit den seinigen vermischte. Dieser sagte zum General und Vizekönige: »Diese, Señores, ist meine Tochter, in ihren Schicksalen unglücklicher als in ihrem Namen. Anna Felix heißt sie, mit dem Zunamen Ricote, ebenso berühmt wegen ihrer Schönheit als wegen meines Reichtums; ich verließ mein Vaterland, um in fremden Ländern eins zu suchen, welches uns aufnähme und Sicherheit verlieh, und nachdem ich es in Deutschland gefunden hatte, kehrte ich in dieser Tracht eines Pilgers mit anderen Deutschen zurück, um meine Tochter zu suchen und viele Kostbarkeiten auszugraben, die ich verborgen hatte. Meine Tochter fand ich nicht, den Schatz fand ich, welchen ich bei mir trage, und jetzt habe ich auf die seltsame Weise, die Ihr gesehen habt, den Schatz gefunden, der mich weit reicher macht, und dieser ist meine geliebte Tochter. Können unsere geringe Schuld, ihre Tränen und die meinigen bei Eurer unbestechlichen Gerechtigkeit der Barmherzigkeit Tore öffnen, so laßt sie uns angedeihen, denn nie haben wir Euch mit einem Gedanken beleidigen wollen, auch haben wir niemals in die Absichten der Unserigen mit eingestimmt, die allerdings mit Recht verdammt sind.«
Sancho sagte hierauf: »Ich kenne den Ricote sehr gut und weiß, daß er darin die Wahrheit sagt, wenn er die Anna Felix für seine Tochter ausgibt, auf die übrigen Weitläufigkeiten aber von Gehen und Kommen, guter oder schlechter Absicht lasse ich mich nicht ein.«
Fast alle Anwesenden waren über diese seltsame Begebenheit erstaunt, und der General sagte: »Eure Tränen lassen es durchaus nicht zu, daß ich meinen Schwur erfüllen könnte: lebt, schöne Anna Felix, die Jahre Eures Lebens, welche Euch der Himmel bestimmt hat, die Strafe ihres Verbrechens sollen die Verwegenen und Tollkühnen davontragen, welche es begangen haben.« Er befahl hierauf, die beiden Türken aufzuknüpfen, welche seine Soldaten getötet hatten; aber der Vizekönig bat ihn sehr dringend, sie nicht umbringen zu lassen, weil sie mehr Torheit als Verwegenheit gezeigt hätten. Der General tat, um was ihn der Vizekönig bat, denn man übt mit kaltem Blute nur selten Rache aus. Es wurde zugleich auf Mittel gesonnen, wie man den Don Gregorio aus der Gefahr befreien könne, in welcher er zurückgeblieben war. Ricote bot für ihn mehr als zweitausend Dukaten, welche er in Perlen und Juwelen bei sich hatte. Viele Anschläge wurden gemacht, aber keiner war so ausführbar, als der, welchen der spanische Renegat angab, welcher sich erbot, auf einer kleinen Barke von sechs Rudern, mit christlichen Ruderern besetzt, nach Algier zurückzukehren, denn er wußte, wann, wo und wie er an Land steigen mußte, auch war ihm das Haus nicht unbekannt, in welchem Don Gaspar geblieben war. Der General und der Vizekönig hatten Bedenken, sich auf den Renegaten zu verlassen und ihm die Christen anzuvertrauen, die an die Ruder gestellt werden sollten. Anna Felix verbürgte sich für ihn, und ihr Vater Ricote sagte, daß er die Christen wieder auslösen wolle, wenn sie in die Gefangenschaft geraten sollten. Nachdem dieses beschlossen war, stieg der Vizekönig wieder ans Land und Don Antonio Moreno führte die Moriske und ihren Vater mit sich, und der Vizekönig bat ihn, sie so gut und freundlich zu bewirten, als es ihm nur möglich sei, wobei er alles anbot, was in seinem Hause zu ihrer Bewirtung dienen könne. So groß war das Wohlwollen und die Teilnahme, welche die Schönheit der Anna Felix seinem Herzen eingeflößt hatte.
64. Kapitel
Erzählt das Abenteuer, welches dem Don Quixote von allen, die er bis dahin
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