Don Quixote
andern geht, so soll er vorher schwören, wohin er geht und was sein Geschäft; ist sein Schwur wahr, so lasse man ihn ziehen, sagt er eine Lüge, so soll er an den Galgen gehenkt werden, der dort steht, ohne alle Barmherzigkeit. Dieses Gesetz und sein strenger Inhalt waren bekannt, viele gingen über die Brücke, man sah, daß das, was sie beschworen hatten, die Wahrheit sei, und die Richter ließen sie ungehindert ziehen. Es geschah darauf, daß man einem Manne den Eid abnahm, welcher schwur und sagte, daß, so gewiß er schwöre, er hingehe, um an dem dort befindlichen Galgen zu sterben, und zu keiner andern Absicht. Die Richter kamen über diesen Schwur in Verlegenheit und sagten: ›Lassen wir diesen Mann frei ziehen, so ist sein Schwur ein Meineid, und er muß nach den Gesetzen sterben, hängen wir ihn aber, so hat er geschworen, daß er hingehe, um an dem Galgen zu sterben, und da er die Wahrheit geschworen hat, so muß er nach ebendiesen Gesetzen frei sein.‹ Jetzt fragen wir Euch nun, gnädiger Herr Statthalter, was sollen die Richter mit diesem Manne anfangen, denn sie sind noch immer zweifelhaft und in Verlegenheit? Sie haben von Eurem scharfen und hohen Verstande Nachricht erhalten und schicken mich ab, um Euer Gnaden demütig zu bitten, ihnen Eure Meinung in diesem verwickelten und zweifelhaften Falle mitzuteilen.«
Worauf Sancho antwortete: »Wahrlich, diese Herren Richter, die Euch zu mir geschickt haben, hätten es wohl können bleibenlassen, denn ich bin nur ein Mann, der mehr Einfalt als Scharfsinn besitzt ; dessenungeachtet aber sagt mir den ganzen Handel noch einmal, damit ich ihn begreifen kann, vielleicht fügt es sich, daß ich in die Mitte des Riemchens steche.«
Der Gefragte erzählte hierauf den Fall noch einmal so, wie er ihn erst schon vorgetragen hatte. Sancho sagte: »Nach meiner Meinung kann man diesen Handel in zwei Augenblicken fassen, es ist nämlich so: dieser Mann schwört, daß er hingeht, um am Galgen zu sterben; stirbt er, so hat er die Wahrheit beschworen, und er soll nach dem gegebenen Gesetz frei sein und über die Brücke gehen dürfen; hängen sie ihn aber nicht auf, so hat er eine Lüge beschworen, und er verdient nach dem nämlichen Gesetze, daß er aufgehängt werde.«
»Es ist, wie der Herr Statthalter gesagt hat«, sagte der Bote, »und was das richtige Verständnis des Falles betrifft, so ist hier nichts Weiteres hinzuzusetzen.«
»So sage ich denn«, versetzte Sancho, »daß von diesem Menschen die Seite, welche wahr geschworen hat, ungehindert ziehen soll, die aber, welche gelogen hat, soll man aufhängen, und auf die Art kann das Gesetz der Brücke buchstäblich erfüllt werden.«
»Aber, Herr Statthalter«, versetzte der Fragende, »so wird es nötig sein, daß dieser Mensch in zwei Hälften, in eine lügende und in eine wahrhaftige, geteilt werde, und wenn man ihn teilt, so muß er notwendig sterben; und so geschieht gerade nichts von dem, was das Gesetz verlangt, welches doch durchaus in Erfüllung gehen soll.«
»Nun so hört denn, mein guter Freund«, sagte Sancho, »dieser Reisende, von dem Ihr sprecht, entweder bin ich ein Dummkopf, oder er hat ebensoviel Recht, zu sterben als zu leben und über die Brücke zu gehen, denn wenn die Wahrheit ihn freispricht, so verdammt ihn ebensogut die Lüge; da die Sache nun so steht, so ist meine Meinung, diesen Herren zu sagen, die Euch hergeschickt haben, daß, da die Gründe, ihn zu verdammen oder freizusprechen, sich einander die Waage halten, sie ihn freilassen sollen, denn es ist immer löblicher, Gutes zu tun als Böses, und diesen Satz wollte ich mit meinem Namen unterschreiben, wenn ich schreiben könnte; ich habe auch hierin nicht aus mir selbst gesprochen, sondern mir kam eine Vorschrift ins Gedächtnis, die mir, nebst vielen anderen, mein Herr Don Quixote den Abend vorher gab, ehe ich als Statthalter in diese Insel kam, daß ich mich nämlich, wenn die Gerechtigkeit zweifelhaft sei, zum Mitleiden neigen sollte, und Gott hat es gefügt, daß ich mich jetzt darauf besonnen habe, weil es hier so unvergleichlich paßt.«
»Das ist wahr«, antwortete der Haushofmeister, »und ich glaube, daß Lycurgus selbst, der den Lakedämoniern ihre Gesetze gab, kein besseres Urteil hätte sprechen können, als der große Pansa jetzt gesprochen hat ; und hiermit mag die Audienz für heute geschlossen sein, und ich will Anstalten machen, daß der Herr Statthalter ganz nach seinem Vergnügen speisen könne.«
»Das
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