Donner: Die Chroniken von Hara 3
Ye-arre mit ihren großen Flügeln gegenseitig in die Quere kamen, setzte sich Yarag von den beiden anderen ab und stieg höher in die Luft auf, um seinen Artgenossen größere Bewegungsfreiheit und die Möglichkeit eines Manövers zu verschaffen – dies gerade zur rechten Zeit, denn wir waren der linken Felswand der Schlucht bereits gefährlich nahe. Viel hätte nicht gefehlt, und einer von uns hätte sich den Kopf eingehauen.
Nach einer Weile schlugen meine Träger schneller und kräftiger mit den Flügeln, schwebten dicht über einem Steinvorsprung, gaben mir ein Zeichen und lösten die Hände von den Schnüren. Ich landete auf dem vereisten Stein und fing den Bogen auf, den mir einer der anderen Himmelssöhne zuwarf. Die Ye-arre setzten zum Sturzflug an und verschwanden aus meinem Blickfeld.
Mit aller Kraft spannte ich den Bogen. Anschließend knöpfte ich den Gurt ab, mit dem ich einen Beutel mit zwei Dutzend Pfeilen auf dem Rücken getragen hatte. Ich bestückte den Köcher, legte die übrigen Pfeile vor mich hin und sah mich in aller Ruhe um.
Die Wände der Schlucht standen hier so dicht, dass die Festung den Durchgang vollständig versperrte. Der gedrungene Steinbau nahm sich wie eine Verlängerung der Felsen aus und dräute über dem Pfad wie ein finsterer Troll.
Unter mir ragte ein viereckiger Turm mit verschneitem Dach auf, von dem mich nicht mehr als fünfundsechzig Yard trennten. In der Burg gab es eine lange Kaserne, in der wohl dreißig Mann untergebracht werden konnten, sowie einige Holzbauten, die im Laufe der Zeit stark gelitten hatten. Am Tor brannten Fackeln, aber mit jeder Minute wurde ihr Licht fahler und verblasste in den Sonnenstrahlen schließlich ganz.
Auf den Mauern erspähte ich zwei Soldaten mit Bögen, im Hof hielten sich fünf weitere auf. Zwei kamen gerade mit vollen Wassereimern von dem Fluss zurück, der an der Festung vorbeifloss. Ein Mann hackte Holz, zwei andere standen gelangweilt am Tor herum. In den Fenstern der Kaserne brannte kein Licht, vermutlich schlief die halbe Garnison noch.
Im Turm selbst dürfte wohl auch jemand Dienst schieben, aber von meinem Platz aus konnte ich das Fenster nicht einsehen, da mir das Dach die Sicht versperrte. Dafür hatte ich den Innenhof wie auf dem Silbertablett vor mir.
Ich befürchtete nicht, entdeckt zu werden, schauen die Menschen doch nur selten nach oben. Trotzdem versuchte ich, etwas in Deckung zu bleiben. Mit dem Messer befreite ich den Stein vom Eis, denn auf ihm abzurutschen und in die Tiefe zu fallen – das hätte mir gerade noch gefehlt.
Fünfzehn Minuten später beobachtete ich, wie die Ye-arre erneut heranflogen. Sie setzten Kallen auf der gegenüberliegenden Seite der Schlucht ab, etwas näher an der Festung als mich. Damit befand er sich den Fenstern gegenüber – und folglich in größerer Gefahr. Die Wachtposten könnten ihn entdecken, aber eine andere Möglichkeit gab es nicht. Kallens Bogen war wesentlich leichter als meiner, sodass er keine so große Reichweite hatte.
Als Kallen mich entdeckte, hob er die Hand. Ich tat es ihm nach, um ihm zu verstehen zu geben, dass auch ich ihn bemerkt hatte.
Eine dritte Gruppe von Ye-arre brachte nun Typhus, die sie sieben Yard von mir entfernt auf einer äußerst schmalen Fläche absetzten. Immerhin lag diese hinter einer Art natürlicher Brüstung. Damit bot sich der Verdammten ein gutes Versteck, gleichzeitig war sie dagegen geschützt, in die Tiefe zu fallen – was Typhus jedoch nicht daran hinderte, nach einem Blick in die Tiefe so laut zu fluchen, dass selbst ich es hörte. Sie starrte kurz finster zu mir herüber, ehe sie sich auf den Boden setzte und den Rücken gegen die Felswand lehnte.
Die Ye-arre hatten irgendwo weit über uns auf den Gipfeln Posten bezogen und warteten auf unser Signal. Sie waren mit sehr leichten Bögen und Wurfspießen bewaffnet. Gerade im Gebrauch dieser Spieße hatten sie es zu erstaunlicher Meisterschaft gebracht. Für den Nahkampf verfügten sie außerdem über Macheten, aber diese Art der Auseinandersetzung versuchten sie stets zu vermeiden.
Ich legte den Kopf in den Nacken und machte Yarag aus, der zwanzig Yard über mir saß. Er glich einem der geflügelten Boten des Meloth, wie ich ihn einmal in einem alten Tempel auf einer Freske gesehen hatte. Auch der hatte so dagehockt, die Flügel angelegt, das Kinn auf die Knie gebettet, die Arme um die Beine geschlungen.
Das Glück zeigte sich mir hold. Der Wind war nicht zu stark und sehr
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