Donner: Die Chroniken von Hara 3
eilte sogar zum Springbrunnen, doch auch dort fand sich jener Mann nicht. Als er in die Laube hinter den Pappeln zurückkehrte, sah er, dass die dunkelgrüne Leinentasche des Glimmenden noch immer auf dem Tisch stand.
»Was für ein Tagträumer«, murmelte Cavalar. »Wie soll ich ihn bloß je wiederfinden?«
Trotzdem nahm er die Tasche an sich. Möglicherweise begegnete er dem Mann ja noch einmal in der Stadt, dann könnte er sie ihm zurückgeben. Dass der Unbekannte über den dunklen Funken gebot, erschreckte Cavalar in keiner Weise. Für ihn zählte nicht der Weg, sondern allein das Ergebnis.
Als er seine Sachen packte, stieß er versehentlich die Tasche um. Ein grau-gelbes Heft fiel heraus. Er konnte seine Neugier nicht bezwingen und schlug die erste Seite auf. Sie war mit einer feinen, sehr sauberen Handschrift beschrieben. Sein Blick blieb an einem aufwändigen Ornament hängen und …
»Und was?«, fragte ich verärgert, als sich die Pause hinzog.
»Nichts weiter«, antwortete Typhus und schlug das Buch zu. »Das ist alles.«
»Wie? Das ist alles?«, ereiferte ich mich, denn die Geschichte hatte mich in ihren Bann gezogen.
»Wozu hast du eigentlich Ohren?«, giftete Typhus mich an. »Ich habe vorhin doch klar und deutlich gesagt, dass ein paar Seiten herausgerissen sind.«
»Das ist wirklich eine dumme Geschichte«, mischte sich nun Rona ein.
»Aber sicher! Frei aus der Luft gegriffen!«, spottete Typhus. »Hör mal, Mädchen, verkraftest du es immer noch nicht, dass der von den Schreitenden ach so vergötterte Skulptor über beide Funken gebot? Glaub mir, genau so war es. Und den ersten Aufstand im Turm hat es auch gegeben.«
»Aus dem, was du vorgelesen hast«, sagte Rona, »geht jedoch hervor, dass jemand dem Skulptor geholfen hat.«
»Was hast du denn geglaubt, wie wir zu Verdammten wurden?« Sie beugte sich vor, um flüsternd fortzufahren: »Tsherkana hat in Cavalars Zimmer Schriftzeichen an der Wand entdeckt. Dabei handelte es sich um Zauber, mit deren Hilfe wir den dunklen Funken in uns wecken konnten. Möglicherweise stammten sie ja aus diesem Heft, das der Unbekannte für Cavalar zurückgelassen hat … Bei allen Sternen Haras!«
Ruckartig richtete sie sich auf.
»Was ist?«
»Die Tagebücher des Skulptors! Davon hat Mithipha gesprochen. Ich glaube, mir ist eben klar geworden, wie sie aussehen. Und wohl auch, dass sie früher jemand anderem gehört haben.«
»Dann bleibt dir ja nur noch eine winzige Kleinigkeit zu tun«, erklärte ich grinsend und stand auf. »Du musst diese Tagebücher nur noch finden.«
»Wer war dieser Glimmende?«, fragte Rona.
»Woher soll ich das wissen?«, entgegnete Typhus. »Aber ich verwette meinen Kopf, dass es ein ausgesprochen durchtriebener Bursche war. Wir können nur mutmaßen, welche Ziele er verfolgt hat, als er Cavalar geholfen hat.«
Die beiden blieben am Feuer sitzen, um weiter zu rätseln, während ich die nächste Runde um unser Lager drehte. Vielleicht war das ja ein durch und durch absurder Gedanke. Vielleicht hatte ich inzwischen auch schon den Verstand verloren. Aber ich kannte einen Mann mit silbergrauen Schläfen und einer dunkelgrünen Leinentasche über der Schulter …
Kapitel
25
Tiom war einer der Soldaten aus Woders Truppe. Er hatte das traurige Gesicht eines Bauern, wässrige Augen und ein heiteres Gemüt. Der Mund stand ihm nie still. Er schwatzte ununterbrochen, sprang ebenso leicht von einem Thema zum nächsten wie ein Floh von Hund zu Hund – und schaffte es damit, mich tüchtig zu ermüden.
Trotzdem ertrug ich ihn stoisch und wünschte ihn im Unterschied zu allen anderen Männern nicht ins Reich der Tiefe, wofür er mich prompt und für alle Ewigkeiten zu seinem besten Freund erklärte. Dieser gewichtige Titel war natürlich so recht nach Shens Herzen, und er brach in schallendes Gelächter aus.
Das wiederum brachte mich dazu, von einem saftigen Kinnhaken zu träumen, den ich Shen verpassen würde.
Die zwei Ye-arre, die vor uns herflogen, berührten mit ihren Flügeln beinah die Wolken. Immer wieder mussten sie waghalsige Kurven beschreiben, um nicht die spitzen, schneebedeckten Felsen zu rammen, die aus dem Nebel herausragten. Tiom hängte seine Armbrust an den Sattel, wärmte sich die Hände unter den Achseln und erinnerte sich daran, wie famos er vor drei Jahren in irgendeiner Hafenstadt gezecht hatte.
Yumi sprang hinter irgendwelchen Steinbrocken hervor, sah mir fest in die Augen und berichtete aufgelöst etwas von
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