DoppelherzTOD
hätte nie auf ihre Avancen eingehen dürfen, hätte ihr keine Hoffnungen machen sollen. Niemals! Er trug Schuld, er gestand sie sich ein. Er hatte ihren Annäherungsversuchen nie konsequent widerstanden, es war nicht verwunderlich, dass Rebecca seinen Lügen glaubte. Sie wollte sie glauben. Und sie musste mit jemandem sprechen. Sie sprach mit ihm. Er provozierte sie jetzt, er wollte ihr Geständnis hören, sie sollte ihm alles sagen. Er war ein Schwein. Einmal Bulle, immer Bulle.
»Wo?«
»Südfriedhof. Abteilung III.« Rebecca Loepki sprach sehr leise. Er senkte den Kopf, um besser zu hören.
»Abteilung III. da liegen die Kinder. Dort habe ich meiner Annetta das Grab geschaufelt. Sie sollte im Tod nicht allein sein.«
Der Schnee schmolz am Fenster. Er färbte Bäume und Häuser nicht weiß. Der Winter biss sich nicht mehr fest.
»Wie ist Annetta gestorben?«
Kain schaute ihr direkt in die Augen. Rebecca wich seinem Blick nicht aus. Sie hatte sich entschieden. Sie würde reden.
»Man kann mit dieser Schuld nicht leben. Ich sehe Annetta vor mir. Wie sie so dalag. Wie eine Puppe. Sie hat nicht geschrien. Mit einem Mal war es unheimlich still. Da war alles vorbei. Ich konnte nichts mehr für sie tun.«
Rebecca Loepki legte ihre andere Hand über seine. Kain begann zu schwitzen. Auch an den Händen. Walter, verdammt, Walter, hättest du mir das nicht ersparen können! Kain sah Walter lächeln. Blut, wir haben Blut neben dem Wickeltischchen gefunden.
»Ist es im Kinderzimmer passiert?«
»Ich habe kein Kinderzimmer. Die Wohnung ist klein. Weißt, wegen der Miete. Das Amt bezahlt keinen teureren Wohnraum. Annetta schläft bei mir mit im Zimmer. Besuch habe ich selten, und sie schläft nachts noch nicht durch.«
Rebecca Loepki stand auf und ging ihm ins Schlafzimmer voraus. Im Vorbeigehen drückte sie auf den Wasserkocher.
»Wir wollten uns doch einen Kaffee kochen.«
Den schmalen Flur verstellten ein Schuhschrank und der leere Kinderwagen. An den Haken der Garderobe hing zu viel Kleidung. Die Tür schleifte in den Angeln. Trotz weißer Wände wirkte das Schlafzimmer dunkel. Ein Bett stand an der rechten Wand. Decke und Kissen waren ordentlich auf Kante gelegt. Pantoffeln standen darunter. Ein Kleiderschrank mit großem Spiegel. Die Wiege und ein Wickeltisch mit Creme und Windeln und Puder. Blut, wir haben Blut neben dem Wickeltischchen gefunden. Ein Regal mit Spielsachen. Kain sah den Kater Garfield und ein weißes Häschen. Eine Spieluhr hing an der Wand. Rebecca Loepki zog an der Schnur. Schlafe, mein Prinzchen, schlaf ein.
»Das hat sie so gerne gehört. Immer gelacht hat sie da.«
Sie verlor sich in den Erinnerungen und lächelte ganz für sich. Das Bettchen in der Wiege war durchwühlt, als hätte Rebecca darin immer wieder nach Annetta gesucht. An der Lampe hing ein Windspiel mit bunten Federn. Kain stieß das Metall aneinander. Die Töne waren sehr zart.
Rebecca Loepki blieb stehen und schaute auf die beigefarbene Auslegware. Kain sah die dunklen Flecken. »Hier?«
Rebecca Loepki nickte. »Sie ist einfach vom Tischchen gefallen. Ich höre das Geräusch immer wieder. Mutti hat die Fenster geputzt, und jetzt sind sie schon wieder dreckig.«
Kain hätte ihr einen Vortrag über die Sorgfaltspflicht von Eltern halten können. Man ließ Babys auf dem Wickeltisch nicht ohne Aufsicht. Rebecca strich mit ihrer Hand über die Plastedecke. Clownsgesichter waren darauf gedruckt. Die Plaste schlug kleine Falten. Für Sekunden lächelten die Clowns schief.
»Und dann hattest du die Idee mit der Entführung?«
Rebecca schüttelte ihren Kopf. »Die hatte Mutti.«
»Du hast mit deiner Mutter darüber gesprochen?«
»Sie putzte Fenster. Sie macht manchmal hier sauber, hilft mir mit Annetta und so. Mutti hatte sofort diese Idee.« Sie holte tief Luft. »Ich war nicht dagegen. Und irgendwie ist ja Dijamal auch mit Schuld, dass Annetta nun tot ist.«
Kain zweifelte nicht an diesen Worten. Sie sprach die Wahrheit, er hatte Rebecca endlich zum Reden gebracht. Walter hatte unrecht. Rebecca war keine Mörderin. Und auch Kain musste sein Urteil revidieren. Nicht einmal der Unfall war Rebeccas Schuld gewesen. Einmal nicht hingesehen, und dann war’s passiert.
Sie setzte sich auf das Bett. Das Windspiel gab leise Töne von sich.
»Ich habe Annetta sofort in die Arme genommen. Ihre Ärmchen hingen so schlaff wie bei einer Lumpenpuppe herunter. Sie hat nicht mehr geatmet, so sehr ich sie auch geküsst habe. Ihre
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