Doppelte Schuld
wollten: Terror verbreiten.
»Warum?« Katalinas Stimme klang müde und eingeschüchtert.
Er wußte keine Antwort, obwohl ihn das Gefühl nicht verließ, daß das alles mit dem Toten zu tun hatte, mit dem Mann, den er selbst nach Blanckenburg gelockt hatte. Dein genealogisches Hobby hat sich als gefährlich erwiesen, dachte er. Du hättest die Vergangenheit und deine Rabenmutter ruhen lassen sollen.
»Stehe ich eigentlich noch unter Verdacht?« fragte Katalina, als die beiden Kripoleute gehen wollten.
»Unter Verdacht?« Der Bulligere der beiden zog die Augenbrauen hoch, als ob ihm das Wort unbekannt sei.
»Wir ermitteln noch, Frau Cavic, und lassen Sie alles Nötige wissen«, antwortete der Jüngere, der Smarte. Moritz hätte ihm am liebsten ins Gesicht geschlagen.
Moritz schickte Katalina in die Praxis, schon um ihr den Abschied von Susi zu ersparen. Und dann begann er zu putzen und aufzuräumen. Das Chaos im Bad war am übersichtlichsten, obwohl die Einbrecher gründlich gewesen waren. Das Kopfkissen im Schlafzimmer konnte man wegwerfen, aber davon abgesehen war hier am wenigsten zu tun. In der Küche sah es am schlimmsten aus. Als erstes hängte er das tote Ferkel ab, dann fegte er den Scherbenhaufen zusammen, und schließlich hockte er sich auf die Knie und putzte die Marmelade und das Blut von den Fliesen.
Der Einbruch ins Kutscherhaus würde Katalinas Abschied beschleunigen, das ahnte er. Und er wußte nicht, wie er sie davon abhalten sollte. Es war zuviel geschehen, seit man den Toten gefunden hatte.
Die Besuche der Kripo. Was für andere allenfalls eine Belästigung wäre, war für Katalina ein Drama. Zeugenbefragungen empfand sie als Verhöre, Rüpeleien als Bedrohungen. Sich der Vergangenheit stellen? Eine schöne Empfehlung. Was, wenn man sich weder erinnern konnte noch erinnern wollte?
Sie wollte sich nicht an ihren Vater erinnern – und Moritz hatte dazu beigetragen, die Wunde wieder aufzureißen. Wenn Katalina erführe, daß er der Detektei Hermes den Auftrag erteilt hatte, nach ihrem Vater zu suchen … Das würde für immer zwischen ihnen stehen.
Moritz wienerte den Fußboden, als ob er die Gebrauchsspuren der letzten hundert Jahre beseitigen wollte. Es wäre besser gewesen, wenn auch er die Vergangenheit hätte ruhen lassen. Es war keine glückliche Idee gewesen, seine Mutter suchen zu lassen. Dabei war es Katalinas Idee gewesen. Nein – Nina, damals im Studium, war die erste gewesen, die den Finger in die Wunde legte.
»Deine verdammte ungeklärte Mutterbeziehung«, hatte Nina das Problem genannt. Nina dachte so, damals dachten alle so: Man müsse die Vergangenheit aufarbeiten, um sich von ihr zu befreien. Im Fall von Nina war ihm das ganz und gar nicht gelungen. An Nina zu denken tat noch immer weh. Als sie sich in Hamburg begegneten, studierte sie im fünften Semester Psychologie, und er war bei den Althistorikern eingeschrieben. Sie stritten sich bei ihrer ersten Begegnung, sie stritten sich bei der zweiten, sie stritten sich, bevor sie miteinander im Bett landeten und sich liebten, sie stritten sich danach, noch schweißbedeckt von einer leidenschaftlichen Umarmung. Sie hatten sich am Tag gestritten, an dem sie allein und ohne sein Wissen zu einem Arzt gefahren war, der ihr das Kind wegmachte, mit dem sie schwanger war. Von ihm, von wem sonst? Er hatte erst Tage später erfahren, daß sie an der Abtreibung gestorben war. Der Mann hatte gepfuscht und sie dann fortgeschickt, anstatt sie ins Krankenhaus zu bringen, schließlich war eine Abtreibung damals illegal.
Das Kind wäre heute alt genug, um selbst Kinder zu haben. Sein Kind. Moritz spürte dem vertrauten Schmerz nach. Es tat noch immer weh, mindestens so weh wie der Gedanke an Rebecca.
Nicht auch noch Katalina verlieren, dachte er.
Er stand auf und schüttete das schmutzige Putzwasser ins Klo. Sollte er dafür dankbar sein, daß seine Mutter ihn nicht abgetrieben hatte? Obwohl er einer Vergewaltigung entstammte? Er verbot sich den Gedanken. Nina hatte getan, was sie für richtig hielt.
Er ging hinüber ins Wohnzimmer und begann, die Bücher auf die Seite zu räumen, bevor er den Staubsauger holte und die Stellen, an denen die Bücherregale gestanden hatten, von Wollmäusen und Spinnweben befreite.
Wichtiger war der Tote. Warum hatte der Mann einen falschen Namen angegeben? Benjamin Dimitroff hieß er, behauptete die Kripo. Der Mann von der Detektei Hermes, ein Mann von vielleicht Mitte Vierzig, hatte sich als Frank Beyer
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