Doppelte Schuld
schnellte Zeus los, mit einem wütenden Gebell, das nach höchster Empörung klang. Und nach höchster Kampfbereitschaft.
Katalina folgte ihm, langsamer und mit wachsender Panik. Wieder stolperte sie, diesmal beugte sie sich hinunter und tastete nach dem Gegenstand. Es war ein Buch. Ein Buch lag im Flur auf dem Boden. Sie bewegte sich nach rechts, dorthin, wo die Tür zum Wohnzimmer sein mußte. Die Tür stand offen. Der Blitz erhellte den Raum für den Bruchteil von Sekunden, aber das genügte. Auf dem Boden im Zimmer lagen Bücher, CDs, Zeitschriften, Aktenordner. Darüber das umgestürzte Bücherregal.
Der Sturm? Nicht der Sturm, flüsterte es in ihr. Der bringt keine Bücherregale zu Fall. Der wirft nicht Blumentöpfe und Vasen hinterher, wie auf einen Scheiterhaufen. Das tun nur Menschen.
Dann hörte sie Zeus heulen. Sie tappte den Flur hinunter. Geradeaus lag die Küche, die Tür war angelehnt. Sie drückte sie auf, tastete nach dem Lichtschalter, sagte sich im gleichen Moment, daß das nichts nützen würde, bestimmt gab es noch keinen Strom. In diesem Moment summte die Leuchtstoffröhre, flackerte auf und beleuchtete ein Schlachtfeld.
Zeus hockte mittendrin, in einem Chaos aus zerschmetterten Marmeladengläsern, Teedosen, Kaffeetassen. Dazwischen eine dunkle Masse, die aussah wie geronnenes Blut. Katalina folgte dem Blick des Hundes nach oben, zur Küchendecke. Und da hing es.
Man hatte das Ferkel der Länge nach aufgeschlitzt und an den Hinterläufen aufgehängt. In dem kleinen Kadaver steckte die Rose, die sie gestern gepflückt hatte. Eine der letzten Rosen des Sommers.
Es dauerte eine Weile, bis sich die Wut gegen das Gefühl der Ohnmacht durchsetzte – vielleicht in dem Moment, als sie an die Waffe dachte, die sie in der Jackentasche trug. Sie holte die Pistole hervor, schob das Magazin hinein und entsicherte sie. Dann trat sie den Gang durch die verwüstete Wohnung an, ohne Zeus, der Susi betrauerte, ein Anblick, der sie ins Mark traf. Das Schlimmste war der Schmerz einer Kreatur, die sich nicht wehren kann gegen das, was man ihr antut. Und wer immer ihn verursachte, war ihr Feind.
»Ist da wer?« Sie hörte sich an wie die blutarme Heldin eines B-Movies. Dennoch packte sie den Revolver mit beiden Händen und bewegte sich vorsichtig durch den Flur zurück zum Wohnzimmer. Der Schaden hielt sich in Grenzen, soweit sie das überblicken konnte. Im Büro auf der gegenüberliegenden Seite des Flurs sah es schon anders aus. Jeder Aktenordner war aus dem Regal gezerrt, sein Inhalt auf dem Boden verteilt worden. Das Telefon hatte man zertreten, das Tintenglas ausgeleert. Den Drucker hatte der Einbrecher gegen die Wand geworfen – der Einbrecher? Ihr Gefühl sagte ihr, daß es mehr als einer war. Und daß es sich womöglich gar nicht um Einbrecher gehandelt hatte, sondern um Menschen, die etwas ganz anderes von ihr wollten als Geld und Gut. Dann sah sie die Kabel auf dem Schreibtisch liegen. Sie hatten das Notebook mitgenommen. Das allerdings war bitter.
Alle Sinne sagten ihr, daß hier unten niemand war. Den Flur zurück, zur Treppe, stehenbleiben, lauschen. Auf Schritte, Atemzüge, Stimmen. Aber da waren nur heulender Wind und Donner. Sie stieß die Tür zum Bad mit dem Fuß auf, so, wie man es im Kino macht, und schwenkte die Pistole am ausgestreckten Arm Richtung Türöffnung. Scherben. Von Zahnputzgläsern und Cremedosen. Sie hatten alles auf den Boden geworfen und darauf Zahnpasta und Shampoo verteilt. Und mit dem Augenbrauenstift »Hure« auf den Spiegel geschrieben, bevor sie ihn eingeschlagen hatten.
Hure. Das war wohl das übliche Schimpfwort. Aber es traf sie, wie immer. Ihr Vater hatte es gesagt, während er nach ihr trat. Hure. Bei jedem Tritt. Sie drehte sich um und zog die Tür wieder hinter sich zu.
Das Chaos im Schlafzimmer überraschte sie nicht. Alle Kleider lagen auf dem Boden. Und das Bett … Die Decke war zurückgeschlagen, das Kopfkissen sah naß aus. Sie trat näher. Urin.
Sie nahm die Decke vom Bett, löschte das Licht und setzte sich auf den Boden, in eine Ecke, von der aus sie die Schlafzimmertür im Blick hatte. Die Waffe legte sie griffbereit neben sich. Und dann horchte sie auf den Wind und dem abziehenden Gewitter hinterher, dachte an Glogovac und Gavro und schlief irgendwann ein.
2
»Wir brauchen Geld, das weißt du. Der Kasten bricht demnächst zusammen.«
Gregor stand neben Moritz, während Arbeiter die zerschmetterten Reste der Eversmann-Skulptur bargen.
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