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Doppelte Schuld

Titel: Doppelte Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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wie sie.
    Am nächsten Morgen hatte sie ihm vom Grund für Paul Grunaus Besuch erzählt. Zwei Tage später war Henry Nowak tot. Sie mußten ihn gejagt haben. Und er tat das, was er für diesen Fall gelernt hatte: Er opferte sich, um sie nicht zu verraten und um ihnen nicht sagen zu müssen, wo der Schließfachschlüssel versteckt war.
    Er war das erste Opfer.
    Manchmal fragte Mary sich, ob sie schuld gewesen war an seinem Tod.
    Sie mußten Paul und Benny gefolgt sein und hatten aus dem Besuch der beiden bei einem gewissen Frank T. Delight geschlossen, daß Mr Delight etwas wußte. Erst recht, als Mr Delight Gas gab und vor ihnen floh. An Mrs Delight hatten sie nicht gedacht.
    Hättest du es ihnen doch gesagt, Henry, dachte sie. Für dich hätte ich alles preisgegeben. Erst recht das Geheimnis von Paul Grunau, das ich ohnehin nie hüten wollte.
     
    August 1968. Prag. Die Karlsbrücke. Die Bilder im Westfernsehen zeigten junge Leute, Arm in Arm, küssend, lachend. Sie war nicht die einzige gewesen, die für kurze Zeit an einen »Sozialismus mit menschlichem Antlitz« glaubte. Andere waren klüger. Martin Axt kam aus dem Büro des Parteisekretärs, als sie gerade hineingehen wollte. Er hatte sie angegrinst und im Vorübergehen leise gesagt: »Man sollte nicht voreilig sein. Und nicht aufs falsche Pferd setzen.« Zwei Tage später marschierten die Armeen der Warschauer-Pakt-Staaten in die Tschechoslowakei ein.
    Sie verließ die DDR keine Stunde zu früh. Paul Grunau hatte für sie einen Paß und ein Visum besorgt, aber nicht für sich. Er blieb. »Was soll ich im Westen? Erst quetschen sie mich aus wie eine Zitrone, und dann kriege ich Arbeitslosengeld. Hier weiß ich, wozu ich gut bin«, hatte er gesagt. Auf seine Weise war er treu, hatte sie damals gedacht. Heute wußte sie, daß er nur einer Sache treu geblieben war: dem Verrat.
    Aber er hatte bezahlt. Paul Grunau war offenbar, nach Henry, das zweite Opfer.
     
    Als Mary den Mann mit der Wanderhose auf der anderen Straßenseite in ein Ladenfenster starren sah, nahm sie sich ein Taxi, sie war zu müde für das übliche Versteckspiel. Der Taxifahrer fuhr nervtötend langsam und sah die ganze Zeit in den Rückspiegel, während er ihr Blanckenburg und seine Geschichte erklärte. Sie ließ den Redeschwall über sich ergehen, ihr war alles recht, was es ihr ersparte, selbst etwas sagen zu müssen. Sie mußte sich auf die Lage konzentrieren, und die wurde immer klarer.
    Martin Axt tat, worauf er sich verstand, und versuchte, sie unter Druck zu setzen. Das Fanal war Bennys Tod. Den Grund für Bennys Anwesenheit in Blanckenburg konnte sie nur vermuten: Vielleicht hatte er sie tatsächlich erpressen, vielleicht hatte er sie auch nur um Hilfe bitten wollen. Oder wollte er sie womöglich gar warnen? Egal, für Axt hatte Benny seine Funktion erfüllt, indem er sie nach Blanckenburg gelockt hatte. Ins offene Gelände. Vol de Nuit über der Leiche war Martins persönliche Note und eine hübsche Anspielung auf Henry. Er selbst, politisch korrekt, hatte ihr während ihrer kurzen Affäre Schwarzer Samt mitgebracht.
    Jetzt versorgte er die Polizei gezielt mit Informationen. Eine gute alte Strategie: Zersetzung mit Hilfe von Angriffen aus allen Richtungen. Er wollte sie weichkochen. Er verbreitete Terror.
    Und er würde den Druck verstärken. Jetzt hatte sie erst recht Angst um Gregor.
    Das verzeih ich dir nie, Mary Nowak, dachte sie. Wenn noch ein Mensch sterben muß für das verdammte Geld.
     
    »Axt befehligt die AGM/S.« Sie hatte Pauls müde Stimme im Ohr. »Die Arbeitsgruppe Minister/Sicherheit, eine Bürgerkriegstruppe, alle bestens ausgebildet und schwer bewaffnet. Er braucht das Geld, nicht nur, um seine Männer bei Laune zu halten.«
    Laß mich in Ruhe, Paul, hatte sie gedacht.
    »Sie brauchen Waffen und Munition. Sie planen Terror und wollen destabilisieren, wo sie nur können. Sie sind gefährlich, Marie.«
     
    »Er ist noch nicht ansprechbar«, sagte eine junge Schwester. Sie sprach mit polnischem Akzent, sehr langsam und sehr laut. Sie schien zu glauben, ältere Menschen seien grundsätzlich schwerhörig. »Sind Sie eine Angehörige?«
    »Eine Freundin.« Mary gab sich schüchtern.
    »Und der Hund …« Die Schwester bewegte den Zeigefinger neckisch hin und her, als ob Mary ein trotziges Kind wäre. Mary tat demütig. Ob sie denn die Zimmernummer erfahren dürfe. Damit sie ihm Blumen schicken lassen könne.
    »Verstehe!« sagte die Schwester fröhlich und fügte ein

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