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Doppelte Schuld

Titel: Doppelte Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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gnädiges »Station 6, Zimmer 132« hinzu.
    Mit zwei geflüsterten Worten schickte Mary Lux nach draußen. Dann fragte sie eine andere vorbeieilende Schwester nach der Damentoilette. Niemand beachtete sie, als sie den Aufzug in den 2. Stock zu Station 6 nahm. Zimmer 132 lag auf der anderen Seite des Gangs. Sie ging hinein, ohne anzuklopfen.
    Das Zimmer war hell, das Kopfteil des Bettes hatte man hochgestellt. Gregor lag mit geschlossenen Augen auf dem Kissen, er war blaß, aber unverwechselbar. Die hervorstechende Nase, die buschigen Augenbrauen, die kurzen weißen Haare. Gawan der Schreckliche, nur älter und ohne Bart. Er hing am Tropf.
    Mary rückte den Stuhl mit dem dunkelblauen Kunstlederpolster an die fensternahe Seite des Bettes und setzte sich neben ihn.
    »Hallo, Sirius, hier ist Stella. Du hast mich gerufen, ich bin gekommen.«
    Seine Hand fühlte sich trocken und kühl an. Sie strich mit den Fingerspitzen über die Handfläche und den Handrücken mit der weißen Warze. Er hatte noch immer schöne Hände mit langen, schmalen Fingern.
    Wenn sie sich wiedergefunden hätten, nach dem Krieg, wäre ihr Leben anders verlaufen. Und all das wäre nicht geschehen, kein Detail aus dem Drama, das sie wieder einzuholen schien. Sie hätte Henry nie getroffen. Sie hätte ihn nie verloren.
    Sie legte Gregors Hand zurück auf die Bettdecke. Seine Augenlider flatterten. »Sirius«, flüsterte sie. »Wach auf.«
    Was wäre gewesen, wenn? Eine müßige Frage, natürlich. Und dennoch ertappte sie sich schon wieder dabei, den verpaßten Chancen hinterherzutrauern, all den Leben, die sie nicht gelebt hatte. Noch nicht einmal eine richtige Mutter war aus ihr geworden.
    Du hättest nicht zurückkommen dürfen, dachte sie. Es erweckt unmögliche Wünsche, die sich womöglich auch noch auf den Falschen richten. Auf einen Mann, der Verstand und Anstand verliert, sobald die Geldsumme groß genug ist.
    »Warum hast du nach mir gerufen, Gregor? Was hat man dir geboten, damit du den Lockvogel spielst?« Ihre Stimme war lauter geworden, schärfer.
    Dabei – war das nicht eigentlich egal? Gregor war das letzte Verbindungsglied zu einer vergangenen Welt. Schon deshalb durfte sie ihn nicht verlieren. Gib dem Gegner, was er will, dachte sie. Dir bedeutet es nichts.
    Gregors Atem ging leicht, gleichmäßig. Mary stand auf und knöpfte ihr Jackett zu. Dann küßte sie ihn auf die Stirn und ging. Als sie an der Tür war, drehte sie sich um. Er hatte die Augen aufgeschlagen, blaue Augen, heller als früher. Er lächelte. Er erkennt mich nicht, dachte sie. Den kurzen Schmerz darüber löste Erleichterung ab: Dann konnte er auch nichts mehr verraten.
     
    Vor dem Eingang saß Lux neben einer jungen Frau im Rollstuhl und schien sie zu bewachen. Wenn sie das Tier nicht beschäftigte, würde die Hündin bald den nächstbesten Blinden über die Straße führen, ob der wollte oder nicht. Sie lächelte der jungen Frau zu, nahm Lux an die Leine und ging die Straße hinunter zum Taxistand.
    Der vietnamesische Fahrer gab es schon nach drei Minuten auf, ein Gespräch mit ihr zu führen, und überließ sie ihren Gedanken.
    Es hatte keinen Sinn, über die Fehler der Vergangenheit nachzudenken und den verpaßten Chancen hinterherzutrauern. Die Gegenwart beanspruchte all ihre Aufmerksamkeit. Sie mußte sich auf das Kalkül des Gegners konzentrieren. Er hatte sich nach allen Regeln der Kunst angemeldet und seine Visitenkarte hinterlassen. Sie war gewarnt.
     
    »Ich habe gehört, daß die Polizei nach Ihnen gefragt hat.« Frau Willke stürzte sich auf sie, kaum daß sie das Hotel betreten hatte. »Ich muß mir doch keine Sorgen machen, ich meine …«
    »Alles in Ordnung, Frau Willke«, sagte Mary und nahm Lux die Leine ab. »Alles Routinefragen. Wenn es ernst wird, nehmen die mich mit aufs Revier. Und dann dürfen Sie mir die Unterwäsche ins Gefängnis bringen.« Sie versuchte ein aufmunterndes Lächeln, aber die Hotelbesitzerin ließ sich nicht beschwichtigen.
    »Man begreift die Welt nicht mehr. Wir haben hier immer friedlich gelebt.«
    Mary legte der Frau die Hand auf den Arm. »Was ist passiert?«
    »Man hat Katalina Cavic überfallen. Und es sieht ganz so aus, als ob der Sohn des Grafen entführt worden wäre.«
    Mary hielt die Luft an. Gregor war im Krankenhaus nicht sicher. Keine polnische Schwester konnte Martin Axt aufhalten, wenn er auch Gregor entführen wollte. Es gab nur einen Menschen, der das konnte. Und sie war nicht mehr die Jüngste.
    Geduld,

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