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Doppelte Schuld

Titel: Doppelte Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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lange.« Paul Grunau hatte Benny zurück zum Auto geschickt und war ihr allein in die Küche gefolgt. Er sah aus wie immer, ein bißchen besser gekleidet vielleicht und älter geworden. »Mit der DDR konnte es nicht mehr lange gutgehen. Und ohne das Geld aus dem Westen …« Er lächelte mit schmalen Lippen. »Wahrscheinlich wäre alles viel schneller gegangen, wenn uns der Klassenfeind nicht so großzügig subventioniert hätte.«
    Mary hatte sich umgedreht und den Wasserkocher gefüllt. Sie schwankte zwischen der Freude, ihn wiederzusehen, und Abwehr. Die Abwehr siegte. Es sollte nichts von früher eindringen in die Idylle von Mulberry Cottage.
    »Die DDR war schon Anfang der 80er Jahre bankrott. Erinnerst du dich? An den internationalen Kreditboykott gegen den Ostblock?« Paul hielt den Salzstreuer in der Hand, ein buntes Schweinchen, ein Mitbringsel von den Scilly-Inseln, betrachtete ihn und legte ihn bedächtig zurück auf den Tisch.
    Sie erinnerte sich nicht. Sie erinnerte sich lieber an Reitstunden bei Colin auf der Windermere-Farm in Haytor, an lange Sommerabende vor dem Pub in Chudleigh Knighton, an die Rosen in ihrem Garten hinter der Rhododendrenhecke, an Henry, an Bridgeabende, an denen sie jedes Spiel verlor, an Tabbie, die Katze, und Buster, den Hund. An Glück. An Henry.
    »Die Bundesregierung bürgte damals für einen Milliardenkredit, und plötzlich war der Ostblock als Handelspartner wieder interessant. Und das alles für ein bißchen Entgegenkommen in ›humanitären Fragen‹.« Paul spuckte die Worte aus, als ob sie etwas Unanständiges bezeichneten.
    Mary hatte versucht, nicht hinzuhören. Sie waren nicht arm, sie waren nicht reich, Henry und sie. Es war alles da, was man brauchte. Zeit. Sonne und Regen. Und die Liebe.
    »Marie? Hörst du mir überhaupt zu?«
    Endlich hatte sie ihn angesehen. In seinem Gesicht erstarb die Hoffnung auf ein Wiederaufkeimen der alten Nähe.
     
    »Ihr Führungsoffizier, Paul Grunau, hat unseren Informationen zufolge seit 1986 beträchtliche Mengen Geld auf Auslandskonten verteilt, schätzungsweise an die 300 Millionen Euro. Das Geld ist bis heute nicht wieder aufgetaucht.« Sager blickte stirnrunzelnd auf seinen Notizblock.
    Köster sah zum Fenster hinaus. »Alles Lumpen und Schweinehunde«, murmelte er. »Aber so was landet immer mit dem Arsch in der Sahne. Ich hasse diese Volksbetrüger.«
    »Jetzt werden Sie mir sicher endlich sagen, was das alles mit mir zu tun hat?«
    Sager und Köster hatten ihre Informationen aus den allerbesten Quellen. Aber sie wußten nicht wirklich etwas damit anzufangen. Das wäre ja auch nicht in deinem Sinn, Martin, oder?
    »Sie waren Paul Grunaus bestes Pferd im Stall, nicht wahr?« sagte Sager mit erlesener Höflichkeit. »Er ist übrigens unter … nun … sagen wir: dubiosen Umständen gestorben.«
    »Ich habe seit 1968 in England gelebt und mich für die Vergangenheit nicht interessiert.« Mary fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen. »Erst recht nicht für die untergehende DDR und schon gar nicht für unterschlagene Millionen.« Sie hatte alles gehabt, was man braucht zum Glücklichsein. Bis zu diesem doppelt verfluchten viel zu warmen Tag im Februar.
     
    Es war noch heißer geworden in ihrer Küche, hatte sie sich eingebildet. »Ich habe nicht viel Zeit, Marie.« Paul hatte ihr Zögern bemerkt. »Sie sind hinter mir her. Gib mir zehn Minuten, und ich verschwinde aus deinem Leben. Endgültig.«
    Er war ein Teil ihres Lebens gewesen, mehr als fünfzehn Jahre lang. Wäre er doch verschwunden geblieben. Endgültig.
    Mary sah sich aufstehen, Käse und Schinken aus dem Kühlschrank holen und weiße Toastscheiben damit belegen, die sie in schmale Riegel schnitt – nur damit sie ihm den Rücken zukehren konnte.
    »Wir wußten doch spätestens 1986, daß das System ein gigantischer Betrug war, eine riesige Luftblase, die bald platzen würde. Nur unsere Gegner hielten uns noch für lebensfähig. Ein Treppenwitz der Geschichte.«
    Mit wem er wohl damals konspiriert hatte, mit welchem dieser grauen Männer, die er verachtete? Sie hatte den Teller mit den Sandwichriegeln auf den Tisch gestellt.
    1986. Sie erinnerte sich nur zu gut. Die alten Kollegen vom SIS wollten Henry zurückholen in die Zentrale, weil sie glaubten, sein Wissen sei wieder gefragt. Stundenlang hatte Mary mit ihm in der Küche gesessen, Singleton Malt of Auchroisk getrunken, geredet. Und schließlich war alles entschieden. Er war nicht zurückgegangen. Er

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