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Doppelte Schuld

Titel: Doppelte Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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ermahnte sie sich. Er will dich zermürben in einem langanhaltenden Kleinkrieg. Nur nicht die Nerven verlieren. Du weißt, was zu tun ist, wenn die Zeit kommt.
    Und sie kommt bald.
8
    Gewalt macht eigenartige Dinge mit den Menschen. Erst gerät der Körper in Raserei, Adrenalin schießt ins Blut, der Puls beschleunigt, alles setzt auf Flucht oder Attacke. Und wenn beides nicht möglich ist, schaltet er auf Sparflamme.
    Moritz sehnte sich beinahe nach diesem Zustand zurück: der Körper schmerzfrei, aber gelähmt, die geistigen Prozesse verlangsamt. Nichts tat weh, nichts machte angst, ein großer Frieden breitete sich aus, völliges Einverständnis mit dem, was ist. Doch seit er wieder klar denken konnte, war es vorbei mit dem Frieden. Die Ungewißheit quälte ihn wie das Kribbeln in den Extremitäten bei verminderter Blutzufuhr. Sobald er sich den Gedanken an Katalina erlaubte, geriet er in eine alles verschlingende Panik aus kaltem Schweiß und Atemnot.
    Er hatte sie neben sich gespürt, ihren Atem gehört, als er in der Nacht aufgewacht war, von einem Geräusch, das er weder einordnen noch orten konnte. Und wieder ein Geräusch, es hörte sich an wie das Klirren einer Fensterscheibe. Dann öffnete sich die Tür. Ein Luftzug, das Flüstern von Kleidern, gedämpfte Schritte. Sie waren über ihm. Er hatte sich gewehrt, mit dieser alles überflutenden wütenden Kraft, die sein Körper bereitgestellt hatte, aber sie hatten ihn schließlich überwältigt. Den widerwärtig süßlichen Geruch von Chloroform hatte er noch immer in der Nase, er konnte von Glück sagen, daß sie das Zeug richtig dosiert hatten, sonst wäre ihm noch übler gewesen heute morgen.
    Ob sie Katalina auch mitgenommen hatten? Ob sie ihr etwas angetan hatten?
    Nicht daran denken. Das Schlimmste war die Angst um Katalina. Das Zweitschlimmste der Zwang zur Untätigkeit. Und das Drittschlimmste war der lauwarme und matschig gewordene Döner gewesen, den sie ihm vorhin durch die Tür geschoben hatten.
    Jetzt kam es darauf an, die Lage nüchtern zu analysieren. Er befand sich in einer Art Gewölbe, aus Bruchstein und rotem Backstein gemauert. Ein Fenster gab es nicht, aber durch zwei Luken, oben, unter der Decke, an der Längsseite des Raumes, fiel Licht herein, so daß man sich ein Bild machen konnte. Der Gewölbekeller war vielleicht sieben mal vier Meter groß, die Wände wirkten relativ trocken, es roch nicht nach Schwamm, nur nach Staub und vielen Jahren. Die Kellertür war relativ neu, eine dieser häßlichen Brandschutztüren, wie sie Vorschrift waren, wenn man den Keller nutzen wollte. Die kriegte niemand auf. Die Fensterluken waren zu hoch, um hinauszublicken, und außerdem zu klein für einen erwachsenen Mann.
    In der einen Ecke stand ein Eimer mit Deckel, in der anderen stand eine Pritsche mit Kissen und Decke, daneben ein Stuhl. Man verwöhnte ihn hier nicht. Und seit heute mittag hatte es auch nichts mehr zu essen gegeben. Der Döner lag ihm noch immer schwer im Magen.
    Wo er auch war – im Schloß gab es jedenfalls keinen solchen Raum. Und für einen der Tunnel und Höhlen, von denen es im Ostharz nur so wimmelt, war der Keller zu trocken. Es war nicht gerade gemütlich hier, aber weder kalt noch klamm. Das ließ auf ein beheiztes Haus schließen.
    Weiter kam er nicht. Das Wo blieb ungeklärt, das Wann konnte er auf seiner Uhr ablesen. Es war zwanzig Minuten nach vier Uhr nachmittags. Die Zeit verging unendlich langsam, und ihm fiel keine Ablenkung mehr ein. Sit-ups und Liegestütze hatte er schon probiert, wie wohl jeder Gefangene. Auch Laufen, auf der Stelle. Jetzt schmerzten seine Bauchmuskulatur und das rechte Knie. Außerdem hatte er sich Gedanken gemacht über die Pyramiden von Visoko und das Für und Wider der These erörtert: Was sprach dafür, daß die Wiege der Pyramiden in Bosnien und nicht in Ägypten stand? Oder war das alles nur ein Spiel, das sich ein cleverer Tourismusverein ausgedacht hatte? Wenn er Bleistift und Papier zur Verfügung gehabt hätte, wäre bereits ein abendfüllender Vortrag über Visoko fertig.
    Moritz legte sich auf die Pritsche, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und starrte an die Decke. Erst erkannte er nicht, was sich da auf ihn zubewegte: ein Punkt an der Decke, der sich langsam näherte. Bis er endlich eine Spinne erkannte, die sich zu ihm abseilte. »Willkommen im Verlies«, sagte er leise. Ganz allein war er also nicht.
    Er hatte nicht den Schimmer einer Ahnung, wer ihn entführt und

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