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Doppelte Schuld

Titel: Doppelte Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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Frage«, sagte Köster und räusperte sich. »Wissen Sie etwas über den Verbleib des Grafen von Hartenfels junior? Des Adoptivsohns? Der ist seit gestern nacht verschwunden.«
    »Das muß natürlich nichts zu bedeuten haben, man weiß ja, wie Männer sind.« Sager zuckte mit den Schultern.
    »Ich habe keine Ahnung«, hörte Mary sich sagen.
2
    Als die Tür aufflog, hatte Moritz gerade begonnen, die Bild-Zeitung, mit der sie ihn gestern fotografiert hatten, zum wiederholten Mal von vorn bis hinten durchzusehen, von lesen konnte ja keine Rede sein. Die Katze wußte, wie man Akademiker entnervt. Dagegen war sogar der Streuselkuchen zum Frühstück erträglich gewesen.
    Er sah auf. Die beiden Bodyguards seines Entführers wuchteten eine lange Holzplatte durch die Tür und lehnten sie an die Wand. Er hatte den einen der beiden wegen seiner Kniebundhose »Wanderer« getauft und den anderen »Ray Ban«, weil er selbst hier unten im Keller eine dieser schrecklich schnittigen Sonnenbrillen trug. Die beiden gingen wieder hinaus und kamen mit zwei schmaleren Planken zurück. Bänke. Das Ganze war eine Bierzeltgarnitur. Ihnen folgte der Glatzkopf, im Nadelstreifenanzug mit burgunderroter Krawatte, einen geflochtenen Korb in der Hand. Wortlos sah er zu, wie seine Männer mitten im Raum Tisch und Bänke aufbauten. Dann legte er mit großer Geste eine Tischdecke auf und deckte ein, für drei Personen.
    »Sie haben doch hoffentlich nichts gegen einen Gast zum Abendessen?«
    »Hätte es Folgen, wenn es so wäre?« Moritz lehnte an der Wand und fuhr sich mit der Hand über die Bartstoppeln.
    »Natürlich nicht«, sagte der Mann und musterte ihn kritisch. »Vielleicht sollten Sie sich rasieren zur Feier des Tages.«
    Moritz spürte, wie sich sein Herzschlag beschleunigte. »Und mit wem habe ich die Ehre?« Katalina? Das wäre schlimm, aber es wäre auch gut: Sie wäre wenigstens bei ihm.
    »Lassen Sie sich überraschen.« Der Alte verabschiedete sich mit einer ironischen Verbeugung, noch bevor Moritz um vernünftige Lektüre, einen Schreibblock und einen Bleistift hatte bitten können. Der Wanderer und Ray Ban schlossen hinter ihrem Boß ab. Er war wieder allein mit Kate Moss und ihrer unglücklichen Neigung zu schlechtrasierten Rockmusikern. Und mit seinen Argumenten für und gegen die Pyramiden von Visoko.
    Es kam ihm vor, als hätte er ewig gewartet, bis die Tür wieder aufging. Ray Ban servierte ihm einen batteriebetriebenen Rasierapparat und ein vielversprechend dickes Buch auf einem Tablett. Die Bibel. Das war immerhin entschieden unterhaltsamer als die gesammelten Weisheiten des Genossen Stalin, mit denen er halb gerechnet hatte. Aber zu schreiben gab es noch immer nichts, das galt bei der Stasi wahrscheinlich als subversiv. Oder gehörten die Gangster jetzt zum BND? Egal. Er rasierte sich, ohne Spiegel wahrscheinlich alles andere als perfekt, blätterte in der Bibel und wartete.
    Diesmal dauerte es noch länger, bis sich draußen wieder etwas rührte. Er hatte Hunger und war die Racheprosa des Alten Testaments leid. Mit der Bergpredigt konnte er zur Zeit allerdings ebensowenig anfangen. Als die Tür aufging, hörte er eine vertraute Stimme protestieren.
    »Ich weiß nicht, was Sie von mir wollen. Sie bringen mich nach Hause, haben Sie gesagt. Und wieso verbinden Sie mir dafür die Augen?«
    Das hatte Moritz befürchtet. Genau das.
    Gregor blinzelte, als er in den Raum geführt wurde, obwohl es nicht gerade hell war im Backsteinverlies. »Mein Junge«, sagte er, als er Moritz erkannte. Und dann drehte er sich um. Die sinnlichen Lippen ihres Kerkermeisters verzogen sich zu einem geradezu zärtlichen Lächeln.
    »Hallo, mein lieber Graf«, sagte er.
    »Sie?« krächzte der Alte.
    Das klang nicht gut.
    Der Mann, der sich die Katze nannte, schob den Alten in den Raum, winkte ihnen noch einmal leutselig zu, sagte: »Abendessen um 18 Uhr!« und ließ hinter sich abschließen.
    Moritz legte dem Grafen den Arm um die Schulter und führte ihn zur Pritsche. »Klär mich auf«, sagte er. »Du kennst den Kerl?« Gregor atmete ein wenig zu schnell, und seine Hände waren kalt.
    Der Alte ließ sich auf die Pritsche sinken und fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen. »Ein ehemaliger Geschäftspartner«, sagte er.
    »Mit solchen Leuten machst du Geschäfte?«
    Gregor senkte den Kopf. »Kann man sich das immer aussuchen?«
    Moritz betrachtete das Häufchen Elend und setzte sich schließlich neben ihn. »Erzähl«, sagte er

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