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Doppelte Schuld

Titel: Doppelte Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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weder Garten noch Weg, nur Gestrüpp.
    »Sie sind so nachdenklich, Herr von Bergen.« Wieder hob die Katze das Glas. »Denken Sie an Ihre liebe Frau Mutter? Und daß sie Sie verlassen hat, als Sie noch ein kleiner Junge waren?«
    Moritz schüttelte den Kopf. Er dachte an Frau Willke und daran, daß sie mit den Entführern unter einer Decke stecken mußte, die nette, freundliche, etwas geschwätzige Frau Willke. Er hatte sich in Blanckenburg wohl, ja beinahe zu Hause gefühlt. Eine weitere der Illusionen, die sich soeben in Luft auflöste.
    »Nehmen Sie es nicht so tragisch.« Axt klang geradezu anteilnehmend. »Ihren Verlobten hier hat sie doch auch verlassen. Und glauben Sie wirklich an die Mär von den Vergewaltigern der Roten Armee?«
    Moritz starrte ihn an. Woher wußte der Mann das?
    »Frauen lieben Sieger. Seien Sie doch dankbar für das bißchen russische Blut in Ihren Adern, das frischt selbst alten Adel auf!«
    Gregor führte das Glas zum Mund, Moritz sah seine Hand zittern. Glaubte er das etwa, daß seine Verlobte sich freiwillig der Armee der Sieger hingegeben hatte? Der Alte wich seinem Blick aus. Und plötzlich packte Moritz die archaische Wut eines Mannes, dessen Mutter tödlich beleidigt worden war.
    »Was wollen Sie damit unterstellen, Herr!« hörte er sich sagen.
    »Ach wissen Sie, im Krieg … das kann sich niemand vorstellen, der nicht dabei war. Wir waren alle keine Heiligen.« Der Mann beugte sich vor, als ob er Moritz ein Geständnis machen wollte. »Ich war fünfzehn, als ich meinen ersten Mann getötet habe.« Er hatte die Stimme gesenkt, und seine Augen wurden dunkel. Für den Bruchteil einer Sekunde spürte Moritz etwas bei dem anderen, so etwas wie Gefühl.
    »Einen Faschisten«, sagte Axt sachlich und richtete sich wieder auf. »Mir hat es um keinen von ihnen leid getan. Und die Frauen …«
    Ray Ban räumte die Teller ab, der Wanderer stand schon mit dem nächsten Gang in der Tür. Hatte Frau Willke das Menü für die Gefangenen selbst komponiert? Eigenhändig zubereitet und aufs Tablett gestellt? Mit einem schönen Gruß aus der Küche?
    »Nehmen Sie nur Ihre Mutter, Marie Bergen, wie sie sich bei uns nannte. Sie hat alle verraten. Die Männer, mit denen sie im Bett war, und die Sache, der zu dienen sie geschworen hatte.«
    Gift, dachte Moritz. Reines, pures Gift. Der Mann will, daß ich mich auf ihn stürze. Er will, daß Gregor vor Scham im Boden versinkt.
    Axt lehnte sich zurück und taxierte Gregor, als ob er sich überlegte, wie man wohl beim schwächsten Glied der Kette den Hebel am geschicktesten ansetzte. Dann begann er zu lächeln und legte dem Alten die Hand auf den Arm. »Machen Sie sich nichts draus, lieber Freund. Wenn alles gutgeht, dürfen Sie sie bald in die Arme schließen. Sie werden ihr hoffentlich verzeihen!«
    Moritz wollte aufstehen, dem Mann an die Gurgel gehen, ihn schütteln, ihm den Hals umdrehen. Aber er tat nichts dergleichen. Irgend etwas nahm ihm die Luft und die Kraft. Die Essensdüfte, der Zigarettenqualm. Der Wein. Der Gedanke an den Speisesaal irgendwo über ihnen, in dem er so oft gesessen hatte. Und plötzlich glaubte er, auch noch den Geruch aus dem Toiletteneimer in der Nase zu haben. Die Kerzenlichter bewegten sich im Luftzug, flirrten, wurden undeutlich.
    »Hören Sie auf damit, Axt.« Gregors Stimme drang wie aus dem Nebel zu ihm. »Ich glaube Ihnen kein Wort. Ich habe diese Frau geliebt. Ich höre mir keine weitere Beleidigung mehr an.« Der Alte schien sich erheben zu wollen.
    »Ich verstehe, Gregor. Ich verstehe sehr gut. Ich habe sie auch geliebt.«
    Im Kerzenschein erschien die Tafelrunde als bewegtes Schattenspiel auf den Wänden. Moritz versuchte, sich auf das Gesicht des Glatzkopfs zu konzentrieren. Es kam ihm vor, als ob dessen Lippen zitterten. Doch so jemand weinte nicht. Höchstens aus Kalkül.
    »Auf ihre Weise war sie großartig. Natürlich war bekannt, daß sie alle auskundschaftete für das MfS und für den KGB. Was wir damals nicht wußten: Sie erzählte alles, was sie in Erfahrung bringen konnte, auch den Briten. Dem SIS. Sie war clever, und sie war so ganz und gar ohne Skrupel und ohne Gefühl. Und genauso muß man sein in diesem Geschäft«, sagte die Katze nüchtern.
    Moritz schüttelte den Kopf und blinzelte. Im Schein der Kerzen bildete der Zigarettenrauch eine Art Heiligenschein um den Glatzkopf.
    »Und das war mein Fehler. Ich habe mir Gefühle erlaubt. Ausgerechnet gegenüber einer Verräterin.«
    Ein Stuhl fiel um.

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