Doppelte Schuld
einzigen Gast telefoniert, mit Mary Nowak. Treffen am See im Schloßpark, um zwölf.« Dann imitierte er die Stimme von Axt, mitsamt Lispeln und dem kaum merklichen sächsischen Akzent. »›Weißt du denn auch, was du mitbringen mußt, wenn du deinen Sohn und deinen Verlobten wieder in die liebenden Arme schließen möchtest?‹«
Moritz lachte wider Willen.
»Vier Semester Schauspielschule Ernst Busch in Berlin, dann rausgeflogen wegen kleinbürgerlicher Abweichung«, sagte Carlo geschmeichelt.
»Und was hat sie geantwortet?« fragte Moritz leise. Die Frau, die meine Mutter ist.
»›Ich weiß, was du willst, Martin. Aber ich glaube nicht, daß du es kriegst.‹«
Sie will uns also ans Messer liefern, dachte Moritz.
Aber etwas in ihm widersprach. Sie ist clever. Sie weiß, daß man Erpressern nicht nachgeben darf, ohne etwas in der Hand zu haben. Es fragt sich nur, ob sie sich für Gregor oder für ihren Sohn entscheidet, wenn es darum geht, mit Axt zu handeln.
Oben im Hotel war niemand zu sehen, keiner seiner Entführer, auch Frau Willke nicht. Carlo lieh ihm Rasierzeug und ein frisches Hemd. Als Moritz das Hotel verließ, war es Viertel vor zwölf.
6
Es war spät geworden gestern nacht. Katalina hatte die Wiedersehensfreude des Hundes über sich ergehen lassen, war ins Bett gesunken und hatte wie durch ein Wunder lange und traumlos geschlafen. Vielleicht, dachte sie beim Zähneputzen, weil es nichts mehr zu träumen gab? Alle Albträume hatte sie bereits geträumt, und auf Träume vom Glück konnte sie verzichten. Nie mehr Illusionen.
Eines gab es noch zu erledigen, und dann würde sie Blanckenburg verlassen. Du hättest gehen sollen, als noch Zeit dafür war, dachte sie. Du hättest nicht warten sollen, bis sich unerwünschte Gefühle einstellten. Du kannst Gefühle nicht gebrauchen. Sie machen unglücklich. Sie werden enttäuscht. Sie enden mit Verlust. Hast du denn das noch immer nicht begriffen?
Ihr Herz widersprach ihrem Verstand ohne große Überzeugungskraft. Die Beziehung zu Moritz war vorbei. Die Vorstellung war ihr unerträglich, zu einem Mann zärtlich zu sein, in dessen Augen sie das Wissen lesen konnte, daß sie ihren Vater dem Tod ausgeliefert hatte.
Zeus tänzelte um sie herum, während sie sich einen Pullover über den Kopf zog und in die Jeans schlüpfte. Das Außenthermometer zeigte zwölf Grad an, der Himmel sah nach Sturmböen und Regenschauern aus. »Bring die Leine«, sagte sie. Das war ein neues Spiel, das ihn begeisterte. Er lief in den Flur, nahm die Hundeleine zwischen die Zähne, die sie über den Türknauf gehängt hatte, und legte sie ihr zu Füßen. Sie ließ den Karabinerhaken einrasten und kraulte den Hund hinter den Ohren. »Du bist mein einziger Freund«, flüsterte sie und schalt sich für die Tränen, die ihr schon wieder in den Augen standen.
Dann nahm sie die Regenjacke vom Haken und öffnete die Tür. Sie wußte nicht, ob Mary um diese Zeit im Hotel sein würde, aber was machte das schon. Dann mußte sie eben warten. Es gab nichts mehr in ihrem Leben, was eilig oder dringend oder wichtig gewesen wäre. Die Zeit dehnte sich vor ihr wie eine weite leere Wüste.
Das kommt davon, wenn man keine Träume mehr hat, dachte sie. So würde das Leben von nun an weitergehen: im Sande verlaufen.
Katalina lief auf direktem Weg in die Stadt, die Treppe hinunter, an der Bartholomäuskirche vorbei, an der sie sich bekreuzigte, so, wie sie es als Kind gelernt hatte. Dann durch die Lange Straße zum Lühnertorplatz. Frau Werner mit dem majestätisch an ihrer Seite schreitenden Liao Wang-Tai von Aasenheim kam ihr entgegen und blieb stehen, eine Mischung aus Besorgnis und Neugier im Gesicht. »Katalina, was ist los? Sie sind krank, habe ich gehört?« Und dann laufen Sie hier herum, bei diesem Wetter? lautete die unausgesprochene Frage.
»Ich habe keine Zeit, ich erzähle Ihnen alles, später!« Katalina quälte sich ein Lächeln ab und lief weiter. Vor der Altstadtpassage kam ihr Tenharden entgegen, eine Plastiktüte in der Hand, auf der für Aspirin geworben wurde, er war wohl in der Apotheke gewesen. »Katalina, ich hab’ mir schon Sorgen um dich gemacht, was ist los?« Am liebsten hätte sie sich ihm an den Hals geworfen und geheult wie ein kleines Kind. Sie blieb stehen.
»Du weißt doch, wie alte Männer sind«, sagte sie und versuchte, ihn nicht anzusehen beim Lügen. »Ich muß mich um den Grafen kümmern, es geht ihm nicht gut.«
»Und Moritz?« fragte Tenharden
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