Doppelte Schuld
das war eine weitere Gemeinheit, die Mary ihm nicht durchgehen lassen konnte.
Katalina hatte beim Frühstück plötzlich neben ihrem Tisch gestanden, Frau Willke mußte sie reingelassen haben, warum auch nicht, sie war ja schließlich die Tierärztin.
Das sonst so frische Gesicht der Frau war weiß gewesen, ihre Handbewegungen fahrig. Und ihre Stimme, ihre Sätze – emotionslos.
»Gregor schickt mich«, hatte sie ohne jede Einleitung gesagt. »Er möchte, daß Sie mir den Schlüssel geben.« Und dann hatte sie einfach die Hand ausgestreckt.
Mary hatte versucht zu argumentieren. Daß man keinem Erpresser ohne Gegenleistung entgegenkommen dürfe. Daß man Beweise brauche dafür, daß Gregor und Moritz noch lebten. Daß die Gegenseite nur bekommen dürfe, was sie will, wenn das auch für die eigene Seite gilt. Sie hatte sich den Mund fusselig geredet, aber keine einzige Regung in das starre Gesicht der Frau ihr gegenüber gebracht.
»Mir egal, wenn Ihnen Ihr Sohn gleichgültig ist«, sagte Katalina schließlich, »aber denken Sie wenigstens an den Grafen. Er …« Sie stockte und wandte Mary den Rücken zu. Da war etwas, was sie verschwieg.
»Was hat er noch gesagt?« fragte Mary leise.
Katalina sah sie nicht an. »Nichts«, sagte sie nach kurzem Zögern. Und dann war sie gegangen.
Axt hatte ihr Lügen erzählt, darin war er Spezialist. Und Gregor … Sie verbot sich jeden weiteren Gedanken an ihn. Es wurde Zeit.
Mary bereitete sich auf die Begegnung vor, als ob sie in die Schlacht zöge. Das Zimmer war präpariert, die Zeichen gestern waren eindeutig gewesen: Jemand hatte es in ihrer Abwesenheit gründlich und noch nicht einmal ungeschickt durchsucht. Sie mußte dafür sorgen, daß dieser Jemand das nächste Mal etwas fand.
Wichtiger war, sich auf die Begegnung mit Axt einzustellen.
Er hatte sie gestern nachmittag im Hotel angerufen. »Wie schön, endlich wieder von dir zu hören«, hatte er ins Telefon gesäuselt, die Stimme gut geölt und mit einem leichten Lispeln, wie damals.
Sie hatte keine Lust gehabt auf den Austausch von Höflichkeiten. »Du kommst allein. Morgen mittag um zwölf. Kennst du den See im Schloßpark? Am Bootssteg«, hatte sie gesagt.
Er lachte. »Kurz und präzise, wie immer. Und weißt du denn auch, was du mitbringen mußt, wenn du deinen Sohn und deinen Verlobten wieder in die liebenden Arme schließen möchtest?«
»Ich weiß, was du willst, Martin«, hatte sie geantwortet. »Aber ich glaube nicht, daß du es kriegst.«
»So charmant! Ganz wie damals!« Lachend legte er auf.
Mary sah auf die Uhr, auf den kleinen Reisewecker, der Henry gehört hatte. Es war keine Zeit mehr für eine komplette Taiji-Form. Sie mußte sich auf andere Weise konzentrieren. »Sei bei mir, Henry«, flüsterte sie. Dann stellte sie sich in die Mitte des Raumes, ging leicht in die Knie, schloß die Augen und begann den alten Ritus, den Henry ihr beigebracht hatte. Er machte den Kopf klar und den Blick frei und die Hand ruhig. All das würde sie gebrauchen können.
Dann war es soweit. Sie ließ Lux nur ungern zurück, aber es war besser so. Der Hund senkte enttäuscht den Schweif, als er merkte, daß sie allein ausging. Sie strich dem Tier über das seidige Fell. »Hier bist du sicher«, flüsterte sie.
Die Hündin war eine Waffe, die sich bei ihrem Einsatz selbst zerstörte. Das wenigstens wollte sie vermeiden.
Es war fünf nach halb zwölf.
5
Moritz lief schon seit Stunden auf und ab, manchmal an den Wänden entlang, dann wieder quer durch den Raum. Er versuchte sich abzulenken durch Spiele, die er als Kind gespielt hatte: Schrittwechsel. Auf einem Bein hüpfen. Nicht auf die Ritzen zwischen den Bodenplatten treten. Jede zweite Platte auslassen. Aber es half nichts, er sah das Gesicht vor sich, unauslöschbar: den Mund mit den dicken Lippen spöttisch verzogen, die rechte Augenbraue hochgezogen, ein Zwinkern in den blauen Augen. Und dann die Stimme, diese ölige Stimme, die Fäden zog wie ein warmgelutschtes Karamellbonbon.
»Wir haben sie soweit, Ihre Freundin, sie kooperiert ganz wunderbar.« Moritz war wütend geworden, hatte sich aufgebaut wie ein Schimpansenmännchen und »Was haben Sie ihr angetan?« geschrien. Die Katze hatte sich das amüsiert angeschaut und dann gesagt: »Wieso angetan? Sie war sofort dabei, als wir ihr sagten, man müsse Gregor vor diesem betrügerischen Pärchen aus Mutter und Sohn beschützen.«
»Das kann sie nicht geglaubt haben!«
»Aber natürlich. Benutzen Sie
Weitere Kostenlose Bücher