Doppelte Schuld
klaffte ein Riß, darunter entwickelte sich eine gewaltige Beule. Ein Schwächeanfall? Es sah eher so aus, als hätte man ihn bewußtlos geschlagen. »Einen Eisbeutel«, sagte sie. »Und einen Schnaps.«
Frau Willke brachte beides und machte Anstalten, besorgt um Gregor herumzuflattern. Katalina scheuchte sie weg und setzte sich neben den alten Herrn. Friedlich sah er aus. Es erinnerte sie an ihre ersten Tage in Blanckenburg, auch damals hatte er friedlich dagelegen, in einem Bett oben im Turmflügel des Schlosses, und so getan, als ob er todkrank wäre. Damals hatte all das angefangen, was jetzt zu Ende ging.
Sie legte ihm den Eisbeutel auf die Stirn und nahm seine Hand. »Gregor«, flüsterte sie. »Ich bin’s. Katalina.«
Er rührte keine Wimper. Aber er sagte etwas, ebenfalls flüsternd. »Sie haben Moritz. Tu, was sie dir sagen.«
Unwillkürlich rückte sie von ihm ab. »Moritz – er hat – ich kann nicht …«
»Dann tu es für mich. Tu es für …«
Sie spürte einen Luftzug.
»Er ist gegen die Tür gelaufen«, sagte eine ölige Stimme hinter ihr. »Und er wollte keinen Arzt. Er wollte nur Sie.«
Katalina drehte sich um. Da war er wieder, der Mann mit der auffallend gepflegten Glatze. »Wer sind Sie?« hörte sie sich sagen, obwohl ihr eigentlich auch das egal war.
»Ein Freund von Gregor. Er möchte, daß Sie uns helfen. Glauben Sie mir, Sie würden ihn sehr glücklich machen damit. Er hat doch sonst niemanden mehr, dem er vertrauen kann.« Der Mann setzte ein gewinnendes Lächeln auf, das Katalina eher abschreckte.
Sie spürte, wie Gregor ihre Hand drückte.
»Sehen Sie, sein Adoptivsohn hat sich mit seiner Mutter zusammengetan. Sie wissen ja, daß Moritz von Hartenfels nach Mathilde von Bergen gesucht hat, nicht wahr?«
Katalina nickte.
»Nun, er hat sie gefunden. Was die beiden sich da ausgedacht haben …« Der Glatzkopf schüttelte theatralisch den Kopf. »Und das nach allem, was sein Adoptivvater für ihn getan hat.«
Katalina spürte die Hand Gregors in der ihren zittern. Moritz hat mich verraten, er hat dich verraten, dachte sie und fragte sich, warum sie der Gedanke so unendlich traurig machte. Und warum es sie bedrückte, daß sie mit ihrem Mißtrauen gegenüber Mary Nowak recht behielt.
»Wo ist der Schlüssel, den Sie wiederhaben wollen?«
»Nicht in ihrem Hotelzimmer«, sagte Frau Willke, die wieder ins Zimmer gekommen war. Katalina entging nicht, daß der Glatzkopf ihr einen entnervten Blick zuwarf. Frau Willke zog sich erschrocken zurück.
»Denken Sie darüber nach«, sagte der Mann, verbeugte sich und ging.
»Glaub ihm kein Wort«, flüsterte Gregor. »Aber besorg den Schlüssel. Es ist lebenswichtig. Sie trifft sich mit ihm, morgen mittag um zwölf. Ich will nicht, daß er ihr was antut.«
Katalina nickte, ohne es zu wollen. Dabei war ihr völlig egal, was der Glatzkopf der falschen Mary Nowak antat. Sie wollte nur eines: daß das alles endlich ein Ende hatte. Auch ihre Zeit in Blanckenburg.
»Geh zu Mathilde. Sag ihr, daß ich an sie glaube.«
Wider Willen war sie gerührt. Und deshalb sagte sie dem alten Herrn nicht, was sie dachte: daß er sein Vertrauen an die falsche Person verschwendete.
4
Das Schloß thronte über dem Städtchen wie schon seit Jahrhunderten: ein barocker Brocken, den man lieben oder störend finden, aber nicht ignorieren konnte. Für einen Moment gelang es einem Sonnenstrahl, durch eine Lücke in der Wolkendecke aus dem grauen kalten Kasten ein golden angehauchtes verzaubertes Himmelsschloß zu machen. Dann schloß sich die Wolkendecke wieder.
Mary starrte vom Balkon ihres Zimmers aus hinüber, bis ihr die Augen tränten. Wieder riß der Himmel auf. Wieder zeigte der Sonnenstrahl auf Schloß Blanckenburg. Sie gestattete sich ein tiefes Seufzen. Du wolltest dich doch nur noch um deine eigenen Angelegenheiten kümmern, sagte ihre innere Stimme streng. Keinen höheren Zielen verpflichtet sein. Keine alten Schlachten schlagen. Keine Jugendliebe wieder aufwärmen. Endlich Ruhe finden. Den Garten besorgen, die Hunde trainieren. Mit Karl Schach spielen. In Würde alt sein. Sterben.
Aber das war eine Rechnung ohne die Katze gewesen. Ich werde noch gebraucht, dachte sie, und sterben kann ich auch später.
Martin Axt hatte seine Artillerie in Stellung gebracht. Im Krieg und in der Liebe war bekanntlich alles erlaubt, aber daß sein schwerstes Geschütz Katalina Cavic hieß, daß er die offenbar labile Frau mit seinen Lügen und Intrigen zerstörte,
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