Dorn: Roman (German Edition)
Mann wollte etwas erwidern, doch ich winkte ab und wies mit der Hand in Richtung der Waschküche.
»Du trauerst«, meinte ich bloß. »Aber deshalb wirst du mir hier nicht verkommen.«
Der Tag blieb kalt. Sowohl für die Haut als auch für die Herzen.
Die Botschaft vom Tod des Königs war wie Gift in der Luft. Als hätte jemand Sand ins Getriebe einer Mühle gestreut, schleppte sich das Tagwerk allerorts bloß noch dahin.
Derweil saß der königliche Bote, der sich als Relend von Ansannen vorgestellt hatte, an meiner Tafel – frisch gebadet, rasiert und mit einem deftigen späten Frühstück vor der Nase. Doch weder all der Räucherspeck, noch das frische Brot, ja nicht einmal die süßen Birnen aus dem Obstkeller rangen ihm auch nur einen Deut von Erleichterung ab. Schwer lastete sein Amt auf ihm.
Der König war tot. Sein König war tot. Sein Lebenszweck infrage gestellt. Da mochte ein junger Markgraf noch so gut gemeint auftischen lassen.
Immerhin verschmähte er die Mahlzeit nicht, aß aber sichtlich ohne Freude.
Währenddessen berichtete er mir all das, was ich mir schon zusammengereimt hatte: Letztlich war die Zeit für Hroth einfach gekommen. Das Alter hatte ihn besiegt. Er habe noch bis kurz vor seinem Tod höchstrichterliche Urteile in seiner Halle gefällt, berichtete der Bote. Dann sei er am nächsten Morgen nicht mehr aufgestanden, habe Fieber bekommen und binnen der nächsten drei Tage sein Leben ausgehaucht.
Nach seinem Ableben hatte man Boten in alle Fürstentümer entsandt. Sie sollten den Tod des Königs offiziell kundtun und im gleichen Zug die Markgrafen und Regenten des Ehernen Reichs zum Konklave in die Hauptstadt laden.
Und genau dies tat nun auch der Bote, der an meinem Tisch saß und sich stärkte: Er beorderte mich zum Konklave nach Anselieth. An den Ort, den ich eigentlich nie wieder hatte betreten wollen.
Natürlich war mir klar gewesen, dass ich früher oder später die Reise auf mich hätte nehmen müssen. Aber seit ich Markgraf über Falkenberg war, hatte sich die Notwendigkeit bisher nicht ergeben. Auch, weil Hroth um mein Seelenheil besorgt gewesen war und viele Debatten mit mir in Briefform geführt hatte, anstatt mich persönlich anzufordern.
Was ein kühler Frühlingstag!
Ich erinnerte mich noch gut an Hroth von Pjern. Bereits bei meinem letzten Aufenthalt in der Hauptstadt Anselieth vor nunmehr zwölf Jahren war er ein Mann von knapp siebzig Sommern gewesen. Aber er hatte einige Wesenszüge ausgestrahlt, die mich an meinen Vater erinnert hatten. Dieser unbändige Glaube an das Eherne Reich und sein Fortbestehen – und besonders der Glaube an die Menschen, die im Reich lebten. Er hatte von Beginn an weise auf mich gewirkt. Eine Eigenschaft, die mir spätere Korrespondenzen bestätigten.
Ein alter Mann, der trotz der großen Bürde und dem großen Dienst, den er verrichtete, kleine Augen hatte, die vor diebischer Freude blitzen konnten. Und er hatte eine Frau, die – obwohl sicherlich ein Dutzend Jahre jünger – ihm stets wohlwollend den Rücken gestärkt hatte. Zumindest hatte er sie so immerzu beschrieben. Ich selbst hatte die Güte seiner Frau Kalperia einmal spüren können … einmal. Jenes eine Mal. Bei meinem letzten Besuch in Anselieth, der sich immer noch wie ein scharfes Messer in meinen Geist schneiden wollte.
Der Ablauf meines Tages war damit besiegelt. Er bestand nun aus Organisation.
Während ich dem Boten erlaubte, sich auszuruhen, musste ich mich hinter Bergen von Dokumenten vergraben.
Ich würde eine Weile abwesend sein. Wer wusste schon wie lange? Möglicherweise zwei oder drei Monate, sollte das Konklave länger für eine Entscheidung brauchen. Vielleicht auch nur wenige Wochen. Dennoch war es gut, ausreichend Anweisungen zu verfassen. Mein Haushofmeister Dirnt würde die Regierungsgeschäfte stellvertretend für mich regeln, zu denen ich durch Abwesenheit nicht in der Lage war. Genaue Instruktionen waren also wichtig.
Ich beschrieb einen beachtlichen Stapel Papier, mit besonderem Augenmerk auf Eventualitäten der einfachen Gerichtsbarkeit, in der mich Dirnt ebenfalls zu vertreten hatte. Das Recht der hohen Gerichtsbarkeit übertrug ich ihm nicht. Sollte es tatsächlich einmal darum gehen, ein besonders hartes Vergehen zu beurteilen war ich lieber selbst zugegen.
Doch wirklich schwere Verbrechen waren in Falkenberg eher selten. Es war das kleinste der sechs verbliebenen Fürstentümer des Ehernen Reiches. Und glücklicherweise waren seine
Weitere Kostenlose Bücher