Dorn: Roman (German Edition)
Einwohner recht zufrieden. Steuern und Abgaben waren seit jeher recht moderat.
Interessanterweise brachte diese Art von Politik andere Probleme mit sich. So zeichnete sich vor einigen Jahren einmal eine Tendenz ab, nach der immer mehr Menschen von anderen Fürstentümern nach Falkenberg einwanderten, um sich hier niederzulassen. Das war bis zu einem gewissen Punkt gesund für die allgemeine Wirtschaft, brachte jedoch ein anderes Problem mit sich: Überbevölkerung. Die Leute stritten sich um Arbeit. Ich hatte daher den Zustrom von Menschen regulieren müssen. Schweren Herzens veranlasste ich, dass eine Zuwanderung nur aufgrund vorhandener Verwandtschaftsgrade möglich sei oder durch eine ausdrückliche Genehmigung. Wollte sich zum Beispiel ein angesehener Kaufmann mit einem Kontor in der kleinen Stadt Falkenberg am Golf niederlassen, konnte ich ihm dies kaum abschlagen. Er brachte Arbeit für die Bevölkerung mit. Sogar vereinzelte Schiffe aus dem fernen Süden löschten bald hier in Falkenberg ihre Ladungen.
Alles in allem ging es den Menschen hier gut. Und das beruhigte mich mehr als alle Goldtalente des Reiches es vermocht hätten.
Die blasse Sonne des Tages war bald hinter den Bergkämmen des Falkengebirges verschwunden und ein Sammelsurium von Ölfunzeln und Kerzen erleuchtete mein Arbeitszimmer. Draußen hatte es sich zum Abend hin zugezogen und feiner Regen hatte engesetzt. Er war nicht heftig, aber sehr ausdauernd. Bald würde er alle unbefestigten Wege um die Burg und auch in der Stadt unter uns in eine schmierige Angelegenheit aus Lehm und schlammigem Dreck verwandelt haben.
Ich überlegte gerade, ob ich in die Küche gehen sollte, um mir ein kleines Abendessen zusammenzustellen. Es trieb meine Köchin Äla leider meist in den Wahnsinn, wenn ich nicht im Saal speisen wollte, sondern mir Kleinigkeiten mit ins Arbeitszimmer nahm. Häufig sagte sie dann Dinge wie Ein ordentlicher Markgraf arbeitet hart für sein Volk. Also verdient er auch ein entsprechendes Essen . Und ebenso häufig artete die kleine Portion, die ich mir eigentlich hatte abholen wollen, in ein übervolles Tablett aus, dass ich dann wieder die Stufen hinauf in den Bergfried schleppen durfte.
Doch jemand nahm mir meine Entscheidung ab, denn es klopfte.
»Ja?«, antwortete ich.
Die Tür ging auf und ein junger, triefend nasser Soldat der Wachmannschaft trat ein. Kleine Pfützen bildeten sich unter seinen Stiefeln. Der feine Dauerregen hatte ganze Arbeit geleistet.
»Mein Herr«, begann er. »Draußen beim Tor ist … ein Mädchen.«
Er blickte verlegen drein, als ob er nicht weiterwüsste und druckste herum.
»Noch etwas?«, wollte ich wissen, während ich bereits aufgestanden war. Der Soldat schaute mich verunsichert an.
»Ein Elbenmädchen, Herr«, sagte er schließlich. »Es ist ein Elbenmädchen.«
Ich hatte mich schneller an ihm vorbeigeschoben, als er mir ausweichen konnte. Hektisch versuchte er, Haltung anzunehmen. Doch ich hatte ihn bereits passiert und hastete die Wendeltreppe hinunter, vorbei an zwei verdutzten Wachen, durch die Halle und hinaus auf den Hof. Mir schwante etwas. Und ich sollte recht behalten.
Schlammiges Wasser spritzte links und rechts neben meinen Stiefeln hoch, aber ich achtete nicht drauf, strebte nur beharrlich auf das Tor zu. Drei meiner Männer hatten dort die Speere auf etwas gerichtet und schirmten es von meiner Sicht ab. Ich schob mich am ersten vorbei.
Da saß sie. Verschüchtert, zusammengekauert im Dreck unter dem Torbogen. Ein Mädchen, eine junge Frau, keine zwanzig Sommer alt. Gegen eine Seite des Torbogens drückte sie ihren Rücken, und schob ihren Körper schützend um ein Bündel in ihren Armen.
»Habt ihr den Verstand verloren?«, herrschte ich die Männer an. Unsicher machten diese einen Schritt zurück.
»Aber Herr«, meinte der, den ich zuvor zur Seite geschoben hatte, »Sie kommt von den Elben. Sie ist ein Elbenmädchen.«
»Und du bist ein Menschendummkopf«, funkelte ich ihn zornig an. »Was um alles in der Welt lässt euch so etwas tun?«
Ich wandte mich wieder dem Mädchen zu, das verzweifelt ihr Bündel zu schützen versuchte.
Selbst völlig durchweicht vom Regen und in all ihrer Hilflosigkeit war sie eine Schönheit. Noch im Schein der Laternen war ihre blasse Haut zu erkennen und ihr schwarzes Haar fiel trotz der Nässe glatt wie ein Schleier an ihr herab. Nur ihre spitz zulaufenden Ohren lugten daraus hervor.
Argwöhnisch beobachtete die Elbin jede Bewegung, die ich
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