Dorn: Roman (German Edition)
sich ein düsterer Schleier um ihre Worte. Ich fröstelte.
»Und … warum wirst du gejagt?«, wollte ich nun wissen. Nein, ich musste es wissen. »Ist es … wegen dem, was in deinem Rucksack ist?«
Lia nickte erneut, ohne den Blick vom Kamin zu nehmen.
»Was … ist denn in dem Rucksack?«
Wieder Stille.
Ich suchte nach den richtigen Worten, rang förmlich darum. Was konnte ich tun? Ich musste dieses Mädchen beschützen. Wer auf der Suche nach Schutz zu mir kam, dem musste ich diesen erst einmal gewähren. Und diese junge Elbin war hier bei mir, weil sie nicht gewusst hatte, wohin sie sich in diesem elbenfeindlichen Reich sonst hätte wenden können.
»Das«, erhob Lia schließlich ihre Stimme erneut, »ist eine längere Geschichte. Und ich brauche die richtigen Worte dafür. Ich muss sie erst suchen.«
Sie sah wieder zu mir herüber.
Jetzt endlich wusste ich, was es war, das ihre Augen so tief, so unglaublich tief erscheinen ließ: Sie war verzweifelt. Völlig verzweifelt. Sie hatte Panik, ich könnte ihr nicht glauben. Panik, ich könnte sie wieder hinauswerfen.
»Gibt es jemanden hier, der etwas von Magie versteht?«, fragte sie.
Ich dachte kurz nach. Ja, den gab es schon. Ob er mit sich reden ließ, war eine andere Frage.
»Es gibt jemanden«, meinte ich wahrheitsgemäß. »Aber er wohnt ein wenig abseits, unten an der Küste. Heute Nacht und bei diesem Wetter würde ich ungern-«
»Ist schon gut«, sprach sie leise, aber sehr präsent in meine Erklärung hinein. Dann blickte sie zu Boden.
»Möchtest du ein Zimmer und ein Bett?«, bot ich ihr an. »Wir können morgen in aller Ruhe zur Küste reiten.«
»Kann ich mit der Antwort so lange warten?«
»Welche Antwort?«
»Die Antwort darauf, was ich hier bei mir trage.«
Dieses Mädchen war so seltsam. So unglaublich seltsam. Diese ganze Situation war es. Ich wagte nicht, mich umzudrehen und Äla in die Augen zu sehen, geschweige denn irgendwem sonst, der sich dazugesellt haben mochte.
»Ja«, beschloss ich also, ohne Rücksicht auf die Gefühle meiner Bediensteten. »Erzähl mir morgen, was du so sehr hütest.«
Damit stand ich auf und wandte mich um.
Tatsächlich hatten sich außer meiner Köchin noch einige andere Bedienstete an den Rändern der Halle eingefunden. Neugieriges Pack! Sie selbst hätten eine Elbin vermutlich nicht ins Haus gelassen – aber sie wollten natürlich wissen, wie ihr Burgherr und Markgraf zu dieser Angelegenheit stand.
Im Blick der Köchin sah ich den Tadel. Doch er spornte mich an. Sollten die Menschen doch woanders ihren Ängsten vor den Elben nachgeben. Hier, in diesem Haus würde Gastfreundschaft als Ideal bis zuletzt hoch gehalten.
Auch Dirnt war hier, mein Haushofmeister, Älas Ehemann. Im Gegensatz zu seiner Frau war er schlank und rank, hatte schütteres Haar, das hier und dort bereits arg ergraute. Er war ein gerechter Mann mit einem guten Auge für die Welt um ihn herum.
»Veranlasse bitte, dass das Mädchen eines der Gästezimmer bewohnen kann!«, wies ich ihn an.
Dirnt nickte, bekam von seiner Frau jedoch einen Stoß mit dem Ellenbogen, woraufhin er sich räusperte.
»Wir … ähm … fühlen uns ehrlich gesagt nicht besonders wohl hier, wenn dieses … Wesen im selben Haus weilt, wie wir.«
Das waren eindeutig die Worte seiner Frau. Dirnt selbst wäre nie auch nur auf die Idee gekommen, eine Entscheidung bezüglich meiner Gastfreundschaft infrage zu stellen. Ich wandte den Blick also der Köchin zu, die ihm trotzig standhielt.
»Dieses Wesen ?«, hakte ich nach.
Betroffenes Schweigen füllte den Saal. Nur das Prasseln des Feuers war zu hören.
»Es steht jedem frei, außerhalb der Burgmauern zu nächtigen, falls ihm die Gesellschaft nicht passt «, meinte ich kühl und wartete das Schnauben ab, mit dem die Köchin ihren Ärger hinunterschluckte.
Schließlich ergänzte ich meine Anweisung an Dirnt: »Gib ihr bitte das östlichste der Zimmer und stell die ganze Nacht über zwei Wachen ab, die niemanden zu ihr lassen. Hörst du? Niemanden!«
»Ja, Herr«, kam diesmal knapp zurück und mein Haushofmeister machte sich auf den Weg. Ich hoffte, dass er gegenüber seiner Frau nicht zu sehr den Kopf einziehen musste, weil er ihre Bedenken so zögerlich vorgebracht hatte.
»Man wird dich in das Zimmer bringen«, versicherte ich der jungen Elbin, die wieder begonnen hatte, den Flammen des Kaminfeuers mit dem Blick zu folgen.
Gerade wollte ich den Saal durchqueren, um mich selbst
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