Dornenkuss - Roman
Wäschezeichen, das mich kratzte. Alles Quellen meiner Wut.
Ich hegte die wohltuende Fantasie, dass die Wut sich auflöste, wenn ich es endlich schaffen würde, mich zu erholen, und das konnte niemals hier im Westerwald bei Mama gelingen, sondern nur weit weg. Irgendwo im Süden. Vielleicht sogar in Italien. Italien war nicht mehr ausschließlich das Land, in dem Tessa hauste und Papa verschleppt worden war. Nein, durch meine nächtlichen Recherchen war es auch eine Verheißung geworden, weil ich mich ständig von Werbeseiten locken und ablenken ließ, die mir luxuriöse Hotels an Traumstränden oder romantische Agricultura-Arrangements inmitten der toskanischen Hügellandschaft unter die Nase rieben. Jetzt zuschlagen und Frühbucherrabatt sichern! Oder besser Last Minute? Ich wusste, dass es paradox war, doch meine Wut diktierte mir, nach Italien zu fahren, um Tessa zu töten und mich zu erholen – aber nicht unbedingt in dieser Reihenfolge. Manchmal erschien es mir fast logischer, mich erst zu erholen und dann Tessa zu töten, obwohl ich wusste, dass dies reiner Selbstmord wäre.
Beim Karate konnte ich meine Wut jedoch einigermaßen zähmen, obwohl ich mir eingestehen musste, dass ich mich manchmal fast nach Lars’ Brutalo-Lektionen sehnte. Mein neuer Karatetrainer war ein netter, einfühlsamer, älterer Mann, der geradezu väterliche Gefühle für mich entwickelte. Doch ich wollte keine väterlichen Gefühle. Nicht von einem Fremden. Und auch nicht von Lars.
»Was hältste von einem Sparring, Sturm, hm? Nur wir zwei? Ein fairer Kampf? Ich setz mich in mein Auto und …«
Ich legte auf. Konnte der Gorilla neuerdings Gedanken lesen? Das konnte doch nicht sein Ernst sein. Hierherfahren, um mit mir zu trainieren. Vielleicht sollte ich seine Frau anrufen und sie bitten, zu ihm zurückzukehren, damit er wieder zu Sinnen kam.
Wieder vibrierte mein Handy und ich wollte es schon von mir werfen, als ich erkannte, dass es keinen Anruf, sondern eine Kurznachricht meldete. Eine SMS? Das sah Lars nicht ähnlich. Lars schickte keine Kurznachrichten. Vermutlich rutschten seine dicken Affenfinger von den Tasten, wenn er sie tippen wollte. Und siehe da – die Nachricht stammte nicht von Lars, sondern von Tillmann.
»Brechen in einer Stunde auf, sind nachmittags da. Ciao.«
»Ich hab dich auch gern«, flüsterte ich ironisch, doch mir war sofort leichter ums Herz. Tillmann und Paul würden zurückkehren. Nun konnte ich meine Gedanken auch das tun lassen, was sie schon die ganze Zeit wollten: sich dem dritten Mann im Bunde widmen und Colins »Besuch« von heute Nacht analysieren.
Sofort verflog die Leichtigkeit und meine Schläfe begann erneut zu ziehen und zu pochen – jene Art von Kopfschmerzen, die mich in den vergangenen Wochen immer öfter heimsuchte und gegen die kein Kraut gewachsen war. Tabletten halfen nicht, mein japanisches Minzöl brachte keinerlei Erleichterung, frische Luft und Bewegung machten sie nur schlimmer. Irgendwann fraßen sie sich so unnachgiebig fest, dass sämtliche Muskeln in meinem Nacken und meinen Schultern krampften. Ein paarmal hatte ich daran gedacht, Tillmann um eine Massage zu bitten, mich aber nicht getraut, meinen Wunsch auszusprechen. Nach spätestens zwei Tagen verebbte der Krampf von allein und ich schlief einige Stunden, in denen meine Muskeln sich langsam entspannten. Bis dahin ging ich am Stock. Ich konnte Schmerzen eigentlich gut aushalten, wenn ich wusste, woher sie rührten. Doch diese Schmerzen blockierten mein Denken. Jeder Gedanke tat weh und seltsamerweise auch jedes Gefühl.
Moment – Schmerzen … der Schmerz und das Gefühl … Auch jetzt stolperten meine Gedanken und rempelten sich gegenseitig an, doch sie befreiten dabei jene Region meines Gedächtnisses, in dem die größten Schätze und auch meine schlimmsten Erlebnisse lagerten. Direkt unter dem gewundenen Schnitt auf meinem Hinterkopf.
Ich wälzte mich aus dem Bett, stieg unter die Dusche, drehte den Wasserhahn auf und ließ den Massagestrahl der Brause auf meinen Nacken prasseln. Heute Nacht hatte ich mich nur noch an Colins süffisantes »Wir sehen uns zum Tee« erinnern können. Trotz meiner lädierten Verfassung musste ich kurz grinsen. Damit hatte ich wahrhaftig nichts anfangen können. Nein, natürlich hatte er mir vorher schon etwas gesagt, dicht an meinem Ohr – vielleicht hatte er es auch nur gedacht und für Sekunden die telepathische Verbindung zwischen uns wieder aktiviert. Ich beugte
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