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Dornenkuss - Roman

Dornenkuss - Roman

Titel: Dornenkuss - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: script5
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meinen Kopf und ließ den Strahl langsam nach oben wandern, die Wunde entlang. Es brannte kurz, mehr ein starkes Jucken als eine quälende Empfindung, und das heiße Wasser vertrieb die letzten Nebel aus meinem Kopf.
    »Dich kann nur töten, wer dich liebt. Schmerz öffnet die Seele.«
    Das waren Colins Worte gewesen. Nur diese beiden Sätze. Mit geschlossenen Augen prägte ich sie mir ein, zweimal, dreimal, viermal. Ich war nicht fähig, darüber nachzudenken, was sie meinten, nicht hier unter der Dusche, während ich gerade erst wieder zu leben begann. Ich hatte Rätsel schon immer gehasst; ich fand sie ebenso langweilig wie Gesellschaftsspiele. Vielleicht musste man ein paar Wörter rückwärts buchstabieren, um die Formel zu entschlüsseln, vielleicht ergab sie plötzlich einen Sinn, wenn ich sie laut aussprach, doch das wollte ich verschieben, bis Paul und Tillmann da waren. Vorher wollte ich mir nicht einmal die Mühe machen, sie zu verstehen. Es waren nur Worthülsen, mehr nicht, wie eine seelenlose Mathematikgleichung. Sobald ich mich abgetrocknet hatte – beim Blick in den Spiegel stellte ich erleichtert fest, dass man den Schnitt auf dem Hinterkopf nicht sehen konnte; er war gut unter meinen dichten Haaren verborgen –, notierte ich die Formel auf einen Zettel und steckte ihn in meine Hosentasche, obwohl mir das irgendwie frevelhaft und gefährlich vorkam. Doch ich hatte Angst, sie in meiner Übermüdung wieder zu vergessen.
    Dann nahm ich die Treppe nach unten, wo Mama und Gianna bereits ihr Frühstück beendet hatten und zeitunglesend auf mich warteten.
    »Morgen«, begrüßte ich sie beiläufig, setzte mich und schob die Kaffeekanne vor mein Gesicht. Aber ich war zu langsam.
    »Wie siehst du denn aus?«, fragte Mama und musterte mich besorgt.
    Ja, das hatte ich mich eben beim Blick in den Spiegel auch gefragt. Noch immer war meine Lippe geschwollen und die Beule über der Schläfe hatte ein bläuliches Schimmern angenommen. Ich sah aus wie eine Frau, die eine Tracht Prügel abbekommen hatte. Dabei hatte Colin mich nicht verprügelt. Er hatte mich lediglich festgehalten, damit ich mich nicht rührte. Und natürlich hatte ich mich deshalb erst recht gerührt. Ich selbst hatte mich so zugerichtet – was jedoch keine Entschuldigung für Colins lieblosen Umgang war. Andererseits hätte ich Tessa angelockt, wenn er mich anders behandelt hätte. Die Wunde am Hinterkopf konnte zum Glück niemand sehen und ich hoffte, dass Gianna ihre Klappe hielt.
    »Bin aus dem Bett gefallen«, redete ich mich heraus. »Halb so wild. Nur eine Beule.«
    Gianna zog scharf die Luft ein, doch mein warnender Blick sorgte dafür, dass ihr redebereiter Mund sich zu einem falschen Lächeln verzog.
    »Ist mir auch schon passiert«, sagte sie schnell. »Was man manchmal so träumt … verrückt … Man glaubt tatsächlich, es ist echt.«
    Du doofe Gans, dachte ich. Du kannst es einfach nicht lassen, oder? Gianna war grundsätzlich verschwiegen, aber anscheinend hatte sie Spaß daran, beim Lügen die Wahrheit in Metaphern, Fabeln oder Allegorien verpackt hinterherzuschicken. Sie sollte dringend einen Roman schreiben, um sich darin ausleben zu können. Ihre Metaphern gingen mir auf den Keks. Außerdem machten sie Mama misstrauisch, sie war schließlich nicht blöd. Wann immer das Gespräch auf Träume und merkwürdige Vorkommnisse im Schlaf kam, horchten wir Sturms auf. Das hatte sich uns in Fleisch und Blut gegraben.
    Doch Mama beließ es dabei, mich unentwegt zu mustern, was enervierend genug war und meine Kopfschmerzen nur steigerte. Es konnte gut sein, dass nicht nur Gianna etwas gehört hatte heute Nacht, sondern auch Mama. Und nun reimte sie sich die Vorkommnisse zusammen.
    Deshalb startete ich umgehend ein Ablenkungsmanöver und berichtete von Tillmanns SMS. Sofort hellten sich Mamas und Giannas Gesichter auf und sie beschlossen, gemeinsam einen Kuchen zu backen, um die beiden Herren standesgemäß zum Kaffee zu empfangen.
    »Sehr emanzipiert«, murmelte ich zynisch und kassierte unter dem Tisch einen Hackentritt von Gianna, der sich gewaschen hatte. Kochen und Backen seien per se nichts Unemanzipiertes, wenn der Mann diese Aufgaben ebenfalls regelmäßig übernehme, predigte sie mir wenige Stunden später, als wir an der Küchenanrichte lehnten und in den Ofen starrten, wo der Kirschkuchen gerade an Höhe gewann und einen appetitlich süßen Duft verströmte.
    »Ja, mag sein. Aber ich finde, Kaffeeklatsch und ein Gespräch

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