Dornenkuss - Roman
ihnen sehen. Er wird genau wissen, was er zu tun hat, um dich so zu rauben, dass du es auch noch willkommen heißt! Der beste Sex deines Lebens, nicht wahr?«
»Halt den Mund! Ich bin keine Schlampe! Meine Fantasien gehören mir, du hast darin nichts zu suchen!«, wehrte ich mich erbost. Ich hasste es, hier zu liegen und mich nicht bewegen zu können. Ich wollte ihn beißen, bis er nicht einmal mehr zuckte.
»Ja, ich habe darin nichts zu suchen, das weiß ich auch und ich weiß ebenso, dass ich dich verliere und nichts daran ändern kann, aber es geht hier nicht allein um mich, Ellie, dein Kopf ist so voll von diesen Fantasien, dass …«
Ich ließ auch ihn reden. Leere, sinnlose Worte aus der Dunkelheit, während er mich fort vom Meer trug und erneut mit seinen unsichtbaren Blicken auf den Sand fesselte. Ich verachtete ihn dafür. Ich hatte ihn niemals betrügen wollen, das war nicht meine Absicht gewesen. Es hatte nichts mit ihm zu tun! Aber ich brauchte und liebte meine Träume. Sie waren nicht für Angelo gedacht, sondern für mich. Ich wollte mich mein Leben lang in ihnen einlullen; es war schändlich und gemein, sie sich anzuschauen und sie mir auch noch vorzuwerfen. Er zog sie in den Schmutz, damit ich mir vorkam wie eine Hure, die nur noch aus Wollust und blindem Begehren bestand. Er wollte, dass ich mich für sie schämte.
»Du hörst mir nicht zu! Verflucht, warum hörst du mir nicht zu?« Nun war sein Gesicht dicht über meinem, ich spürte seinen kalten Atem, aber noch immer konnte ich seine Züge nicht erkennen. Erst als weit über uns eine Sternschnuppe über das Firmament rieselte, wurde die Nacht für einen Sekundenbruchteil erhellt. Sein Antlitz war eine knochige, bleiche Fratze, seine Augen erloschen und leer.
»Du hast es tatsächlich vergessen, oder?«, flüsterte er. »Du hast es vergessen … Oh Lassie, was sollen wir nur tun? Was tun wir mit dir?«
Er ließ mich los, stand auf, trat von mir zurück, von mir, der Bestie, und wurde von der Nacht verschluckt.
Ich blieb liegen, obwohl ich die Macht über meinen Körper zurückerlangt hatte, in mir ein tosender Sturm, der all meine Traumbilder zerriss und miteinander vermischte, bis nichts mehr einen Sinn ergab, sosehr ich sie auch zu retten und neu zusammenzusetzen versuchte.
Erst im Morgengrauen begriff ich, was Colin getan hatte.
Er hatte mir meine Träume geraubt.
L AURENTIUSTRÄNEN
»Was hält dich eigentlich noch davon ab?«
Sein Themenwechsel kam unvermittelt. Man konnte im Grunde nicht einmal von einem Wechsel sprechen. Wir hatten gar nicht geredet, nur dagesessen, mit den Rücken an unserem Boot am Strand, und in den Nachthimmel über uns geschaut, der immer wieder von Sternschnuppen erhellt wurde – so feurig und majestätisch, wie ich sie noch nie zuvor gesehen hatte.
Ich wünschte mir nichts. Es erschien mir zu kindlich, das zu tun, vor allem wenn es so viele waren, fast im Minutentakt zogen sie ihre erlöschenden Bahnen. Schutt aus dem All, hatte ich einmal gelesen, Überbleibsel der menschlichen Technik, die herabfielen und für immer verglühten, mit Sternen hatte das nicht unbedingt etwas zu tun. Wenn ich früher eine Sternschnuppe entdeckt hatte, hatte ich mir unweigerlich vorzustellen versucht, wie weit die Unendlichkeit reichte. Manchmal genügte es auch, nur in den Himmel zu sehen und Sterne zu betrachten, um diese Vorstellung auszulösen – eine Vorstellung, die unmöglich war, wie stellte man sich die Unendlichkeit vor? Es war ein Gefühl, als würden meine Gedanken gegen die Wände meines Schädels prallen und sich auflösen, und das hatte mir nackte Angst eingejagt.
Doch jetzt, wo die Unsterblichkeit greifbar war, gab es angesichts dieser Vorstellung keine Angst mehr. Die Unendlichkeit und ich waren uns so nahe gekommen, dass ich mich nicht mehr vor ihr fürchten musste. Trotzdem verspürte ich keinen Drang, sofort zu antworten, als Angelos Stimme sich über das beruhigende, leise Rauschen der Brandung legte. Ja, was hielt mich noch davon ab?
»Ich weiß es nicht genau. Zweifel?«
Ich hatte keine Ahnung, woran ich zweifelte, aber es fühlte sich wie Zweifel an, eine störende Last im Bauch. Wenn ich zu sehr darauf achtete, muckte sie auf und machte sich groß und breit. Wenn ich versuchte, sie zu ignorieren, wurde sie kleiner, verschwand aber nie vollständig. Als hätte ich etwas Falsches gegessen, mit dem mein Magen seine liebe Not hatte. Das nervte mich, denn ich hatte meinen Bauch lange nicht mehr
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