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Dornenkuss - Roman

Dornenkuss - Roman

Titel: Dornenkuss - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: script5
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Methode – oder wollt ihr die nicht erfahren?«
    Ich kramte den Zettel aus meiner Hosentasche und reichte ihn zuerst Gianna. Erneut breitete sich Schweigen aus. Immer wieder wanderte der Zettel von einem zum anderen.
    Schließlich war es Tillmann, der das Schweigen brach. »Hast du das aufgeschrieben?«
    Ich nickte. »Er hat es mir nur gesagt, aber ich bin mir sicher, dass es exakt diese Worte waren und keine anderen.«
    »Vielleicht hast du ihn falsch verstanden …« Gianna spitzte die Lippen, als sie meinen zornigen Blick wahrnahm.
    »Ich hab ein Einserabitur, ich weiß, was ich mir richtig merke und was nicht, okay?«, wehrte ich mich gegen ihre Unterstellung. Nicht wieder wütend werden, Ellie, mahnte ich mich. Nicht jetzt. »Auswendiglernen ist eine meiner leichtesten Übungen. Das ist sein Wortlaut. Habt ihr eine Idee, was diese zwei Sätze bedeuten könnten?«, fragte ich etwas zahmer. »Ich kenne nur den zweiten, aber in einem anderen Kontext. Wenn Mahre bei großem Hunger rauben oder eine Metamorphose erzwingen wollen, schlagen sie ihre Krallen in die Haut ihres Opfers, meistens auf dem Rücken, damit Blut fließt. Der Schmerz macht den Weg frei für die schönsten Erinnerungen und Gefühle. Schmerz öffnet die Seele, diese Formulierung hat auch Colin mal verwendet, als er mir das erklärt hat. Ich hab aber keine Ahnung, wie dieser Satz im Zusammenhang mit dem Töten zu deuten ist.«
    Mahre töteten Menschen nicht, jedenfalls nicht absichtlich. Sie wollten lediglich ihre Gier stillen. Dass die Menschen dabei ums Leben kommen konnten, war allenfalls ein Nebeneffekt, aber nicht das Ziel ihres Angriffs.
    »Dich kann nur töten, wer dich liebt«, las Gianna murmelnd. »Wenn man es wörtlich nimmt, ist es einfach – und gleichzeitig unmöglich. Wer tötet schon freiwillig jemanden, den er liebt, außer wenn es sich um Sterbehilfe handelt oder gemeinsamen Suizid, aber das kommt bei Mahren wohl weniger infrage, oder meinst du, dass …« Sie brach mitten im Wortfluss ab und steckte den Zettel in ihren Ausschnitt, weil Mama die Treppe zum Wintergarten hinaufstiefelte, mit versteinertem Gesicht an uns vorüberlief und sich in der Küche zu schaffen machte. Ich senkte meine Stimme.
    »Wir sollten jedenfalls darüber nachdenken, was es bedeuten könnte und wie es umgesetzt werden kann. Immerhin gibt es eine zweite Methode«, versuchte ich mich in Optimismus, obwohl ich mittlerweile ahnte, dass Gianna recht hatte. Es war einfach und doch unmöglich. Es sei denn, es steckte eine ganz andere Bedeutung dahinter. »Sie lebt wohl in Italien. Immer wenn Colin ihr entkommen ist, kehrte sie dorthin zurück. In den Süden Italiens. Offensichtlich ist Colin ihr erneut entkommen, sonst wäre er nicht hier. Papa hat zuletzt in Italien Spuren hinterlassen. Wir müssen nach Italien reisen«, sprach ich aus, was ich mir so sehnlichst wünschte und zugleich fürchtete wie die Pest.
    »Das müssen wir nicht«, entgegnete Paul entschieden. »Wir müssen gar nichts. Wir können auch ganz normal weiterleben und akzeptieren, dass Papa …« Er verstummte.
    »Ich kann es nicht«, sagte ich, als Paul seinen Satz auch nach mehreren gequälten Atemzügen nicht zu Ende zu führen vermochte. »Kannst du es?«
    Das Leid, das seine Augen verdunkelte, als ich fordernd hineinsah, ließ mein Herz hart und finster werden. Er konnte es ebenso wenig wie ich. Normalität gab es für uns nicht mehr. Manchmal wusste ich nicht genau, ob es noch die Folgen von François’ Befall waren, die meinen Bruder niederdrückten, oder seine eigenen Schuldgefühle, weil er weder Papa noch mir geglaubt hatte. Ja, er fühlte sich schuldig für das, was ich durchgemacht hatte, um ihn zu retten. Ich wollte das nicht, aber es war so. Und er würde mich nicht ohne seinen Schutz ziehen lassen. Allein wegen seiner Schuldgefühle würde er das nicht, ganz gleich, was er von unserem Vorhaben hielt.
    Paul wandte sich mit einem Stöhnen, das tief in seiner Brust hängen zu bleiben schien, von mir ab und blickte Gianna an.
    »Also Italien«, sagte er heiser.
    »Ja. Italien«, bekräftigte Tillmann. Ich nickte nur. Auch Tillmanns und meine Augenpaare ruhten nun auf Gianna, die nicht glauben wollte, was sie sich hier anhören musste. Sie wich ein Stück zurück und sah uns in einer Mischung aus Gekränktheit und Entrüstung an.
    »Mal abgesehen davon, dass ihr alle komplett wahnsinnig seid: Ich kann doch jetzt nicht nach Italien! Ich bin arbeitslos, hab Schulden und …«

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