Dornenkuss - Roman
zum Stehen.
»Augen auf, Sturm. He! Augen auf, hab ich gesagt!«
Ich gehorchte widerstrebend. Es dauerte zwei bis drei flache Atemzüge, bis ich mich davon überzeugt hatte, dass ich wach war und nicht träumte. Doch ich war wach. Das hier war keine Halluzination, dazu waren der Aschegeruch zu stark und die Reste der Glut zu heiß. Angelos Haus war bis auf die Grundmauern heruntergebrannt. Von dem Anwesen war nichts mehr übrig außer einem Haufen verkohltem Schrott. Den Garten hatte es auch erwischt; die Bäume hatten in der Feuersbrunst sterben müssen, der Pool war nur noch eine schwarze, stinkende Suppe, das Eisentor durch die mörderische Hitze der Flammen verbogen. Keine Grille sang mehr. Keine Motte würde hier jemals wieder in einer Kerzenflamme sterben. Wenn es regnete, würde sich nichts regen. Keine winzigen Frösche, die über den dampfenden Boden hüpften und im Poolwasser ertranken. Keine Igel auf nächtlicher Pirsch. Es war vorbei.
»Na? Biste stolz auf mich?« Lars grinste mich Beifall heischend an und breitete seine Arme aus.
»Ich … Das warst du?«
»Wer sonst? Es war echt krass, ich hatte schon Angst, dass die Tanke mit in die Luft fliegt …« Lars klopfte sich stolz auf die Brust, bis seine Goldkettchen klimperten. »Die Lusche soll sich nicht mehr in deine Nähe wagen. Und wenn er es tut, sag mir Bescheid, ich kenn ein paar Russen, die gerne fremde Knochen brechen, wenn man sie anständig dafür bezahlt.«
»Oh Mann … du hast es echt nicht verstanden …«, stöhnte ich.
»Hab ich wohl. Ich schieb’s nur weg. Trotzdem, die Russen sind gut. Diskret und verlässlich. Das ist ihr Motto …«
»Ich brauche keine Russen«, erstickte ich seine Mordlust. »Und ich will hier weg, ich hab – ich hab Angst. Ich hab das Gefühl, er ist noch hier.«
»Ist er nicht. Das Mannweib hat gesagt, er würde sich nicht mehr in eure Nähe wagen. Aber ich dachte, sicher ist sicher.« Das Mannweib. Damit meinte er vermutlich Morpheus.
»Warum bist du überhaupt mitgekommen? Wer hat es dir gesagt?«, fragte ich, weil die Neugierde meine Angst für einen kurzen Moment verdrängte.
»Deine Mutti. Ich glaub, sie dachte, sie jagt mich damit aus dem Haus. Dass ich denke, sie ist verrückt und so. Na, ihr seid alle bisschen verrückt, ist ja nix Neues. Aber auf diese Weise konnte ich dich wiedersehen und …«
»Und?«
»Na, dir helfen. Was denn sonst?« Er sah mich kopfschüttelnd an.
»Hm«, machte ich reserviert. »Ich dachte eigentlich, ich bin für dich so eine Art wirbelloses Wesen ohne Hirn, das man ununterbrochen erniedrigen und quälen muss.«
Lars lachte dröhnend und schlug mir so fest auf den Rücken, dass ich husten musste und mich beinahe verschluckte.
»Blacky wollte, dass ich dich vor Wut schäumen lasse. Und das geht bei Weibern immer am besten, wenn man sie für dumm verkauft.« Er griff um meine Schultern und zog mich an seine haarige Brust, mehr schlecht als recht versteckt unter einem Ed-Hardy-Trägershirt. »Bist doch mein Stürmchen, oder? Und mal unter uns: Dein Blacky hat auch ’nen leichten Schatten.«
»Mehrere sogar«, entgegnete ich kraftlos. Ich wehrte mich nicht gegen Lars’ plötzlichen Übergriff – es hätte auch nicht viel genützt, denn das hier war keine Umarmung, das war ein Schwitzkasten –, sondern registrierte resignierend, dass seine unverhoffte Sympathiebekundung meine Schleusen wieder zu öffnen drohte. Noch ein nettes Wort oder eine weitere Bemerkung über Colin und seine diversen Schatten und ich würde zu heulen anfangen.
»Heian Shodan!«, rief Lars im Befehlston, nachdem er prüfend zu mir hinuntergesehen und meine zitternden Lippen bemerkt hatte. »Hier wird nicht geflennt.«
»Was?«
»Heian Shodan! Die kannst du noch! Unten am Strand …«
Heian Shodan. Das war jene Kata, an der er mit mir gefeilt hatte. Nein, die würde ich nicht mehr zusammenbekommen. Das war alles verschüttet und nicht eine einzige Bewegung hätte ich beschreiben können, das Ausführen mal ganz außer Acht lassend.
»Jetzt besser nicht. Ich fühl mich nicht gut. Außerdem ist es stockdunkel, ich hab ewig nicht trainiert, kaum gegessen und …«
»Keine Ausreden, Sturm, Ausreden gelten bei mir nicht, das weißt du. Huckepack!« Er deutete auf seinen Rücken. »Spring auf! Ich trag dich.«
Ach, warum eigentlich nicht, dachte ich ergeben. Er würde ja doch nicht lockerlassen, bis ich von Krämpfen gepeinigt am Boden lag. Ich hatte allerdings nicht damit
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