Dornenkuss - Roman
birthday to you …« Summend schob Gianna sich hinein, auf ihrer ausgestreckten Hand ein winziges Schokoladentörtchen mit einer rosa-weiß gestreiften Kerze in der Mitte. »Tanti auguri a te … Happy birthday, liebe Ellie, happy birthday to you!«
»Nein.« Mein Herz begann zu stolpern.
»Doch!« Gianna tänzelte beschwingt auf mich zu. »Herzlichen Glückwunsch, Elisa. Jetzt bist du neunzehn. Und die Sonne scheint! Geburtstag mit Schönwettergarantie, das gibt’s nur in Süditalien! Ein neuer heißer Tag beginnt …«
»Das kann nicht sein.«
»Der zweiundzwanzigste September, oder? Und der ist heute.« Gianna stellte das Törtchen auf meinem Nachttisch ab und setzte sich an mein Fußende. »Ja, es ist Zeit vergangen … Die anderen haben beschlossen, dass wir dich nicht an deinen Geburtstag erinnern und ihn nachholen, sobald es dir besser geht, aber ich bin Italienerin! Ich kann das nicht. Ich muss wenigstens gratulieren!«
»Wozu denn?«, fragte ich hoffnungslos. »Da gibt es nichts zu gratulieren.«
Wir hatten September … Ich hatte so etwas befürchtet, aber es zu wissen, überforderte mich. Ich war nicht in Feierlaune. Ich war es vergangenes Jahr schon nicht gewesen. Kurz zuvor war Colin geflohen, sodass ich mich an meinem Geburtstag in mein Zimmer verkrochen und mein Telefon ignoriert hatte. Nicht einmal meine Mails hatte ich abgerufen – erst am nächsten Tag, in der haltlosen Hoffnung, es sei eine von Colin dabei. Auch heute würde ich ihn nicht bei mir haben können.
»Es ist nicht nur dein neunzehnter Geburtstag, Elisa. Du bist vor einer Woche zum zweiten Mal zur Welt gekommen. Du kennst doch den Song … geboren, um zu leben, für den einen Augenblick, bei dem jeder von uns spürte, wie wertvoll Leben ist …«, sang Gianna liebevoll. »Und ich finde, es ist Zeit, diesen Gedanken auch in deinem Erscheinungsbild zu verwirklichen. Hier, damit müsste es klappen.« Sie zog eine knallbunt gemusterte Tüte hinter ihrem Rücken hervor und leerte sie auf meiner Bettdecke aus. Bürsten und Kämme in unterschiedlichen Größen und Stärken purzelten auf meine Knie, dazu eine Haarkur, Spray zum Entwirren, Schaumfestiger, Spitzenbalsam – Gianna musste einen Friseursalon ausgeraubt haben. »Oder sollen wir sie abschneiden?«, setzte sie drohend hinterher, als ich nichts dazu sagte, sondern nur apathisch die Flaschen und Tuben beäugte.
»Auf gar keinen Fall!«
»Dann spring unter die Dusche und wir machen wieder einen Menschen aus dir. Es wird Zeit.«
»Aber die anderen …«, wandte ich abwehrend ein. Mir war schon Giannas Gegenwart beinahe zu viel. Mehr Zuschauer würde ich nicht ertragen.
»Wir sind allein. Paul ist in aller Frühe aufgestanden, um Manfred zum Flughafen zu bringen und danach mit Mia ans Capo Vaticano zu fahren.«
»Herr Schütz ist schon weg?«, rief ich bestürzt. »Ich wollte mich doch noch von ihm verabschieden … Und wieso fahren sie ans Capo Vaticano, wie kann Mama das nur tun?«
»Weil sie Abschied nehmen möchte. Ich weiß, das alles ist traurig und tut furchtbar weh, aber es muss irgendwie weitergehen und es geht auch weiter. Wir konnten es ihr nicht ausreden, sie wollte dorthin. Husch, husch, ins Bad mit dir, bevor das Wasser wieder abgestellt wird.«
»Bist du sicher, dass du das willst? Mich kämmen? Ich meine …« Ich wusste nicht, welche Worte ich wählen sollte, doch Giannas betroffener Gesichtsausdruck verriet mir sofort, dass sie verstand, worauf ich anspielte – nämlich auf ihr zwanghaft distanziertes Verhalten mir gegenüber in den vergangenen Wochen.
»Das ist vorbei«, murmelte sie entschuldigend. »Es war in dem Moment vorbei, als du ihm die Fackeln in die Augen gestoßen hast, obwohl ich vor Ekel fast vergangen bin … Doch nachdem das geschehen war, warst du wieder unsere Ellie.«
»An der ihr früher ständig rumgekrittelt habt«, setzte ich mit einem leisen Vorwurf hinterher, obwohl ich ganz gewiss nicht streiten wollte.
»Ja, das haben wir wohl und das war ein großer Fehler. Aber wir haben es nicht getan, weil wir dich so nicht mochten, sondern weil wir glaubten, dass du es leichter haben könntest, wenn du dich anders verhalten würdest«, argumentierte Gianna; Begründungen, die ich nicht zum ersten Mal hörte.
»Leichter gibt’s für mich nicht«, erwiderte ich barsch. »Gab’s noch nie. Und ich hab’s satt, mir alle naselang sagen zu lassen, dass ich mich locker machen und runterkommen und alles nicht so eng sehen
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