Dornentöchter
wärmer war, als draußen im Cottage dem Meer ausgesetzt zu sein. Den Großteil seiner Zeit verbrachte er jedoch ohnehin im gesellschaftlichen Trubel von Hobart, zweihundert Meilen entfernt, oder in Launceston, denn beide Städte boten ihm mehr Ablenkung.
Als er und Pearl beschlossen, nach Pencubitt zu ziehen, waren die Handwerker des Ortes fieberhaft damit beschäftigt, das Haus für ihre Ankunft bewohnbar zu machen. Viele äußerten ihr Missfallen darüber, so viel Mühe in die Renovierung von Poet’s Cottage zu stecken, wo es doch ganz in der Nähe höherwertige Häuser in besserem Zustand gab. Möbel, Decken und Wände wurden ersetzt, Vorhänge angebracht, Kaminfeuer vorbereitet, Kronleuchter hergerichtet. Auf die Böden kamen neue Fliesen, Lampen wurden installiert, Bäume beschnitten und Blumen neu gepflanzt. Die luxuriöseste Maßnahme war der Bau einer Garage, in der ein Auto untergestellt werden konnte. Tag für Tag konnten die Bewohner der benachbarten Häuser hinter ihren Vorhängen einen neuen An- oder Abtransport erspähen, und in den Läden am Ort wetzten sich die Hausfrauen die Zunge, während ihnen der Schinken und Käse in Scheiben geschnitten wurde. In jenen harten Jahren zwischen den Kriegen warf niemand mit Geld um sich, wie Pearl und Maxwell das taten. Die meisten Menschen begnügten sich mit praktischer Vernunft.
Tatsächlich konnte Pearl übertrieben großzügig sein. Es war gefährlich, eine Brosche, eine Perlenkette oder ein Kleid zu bewundern, denn sie versuchte sofort, einem das Stück aufzudrängen. Auch konnte sie völlig blind sein, was die Wirkung ihrer Worte oder Taten betraf. Die Spielchen, die sie mit den Menschen gerne spielte, waren mitunter ein wenig sadistisch. Sie hatte eine gewisse unschuldige Grausamkeit an sich, und ich musste oft an ein Kind denken, das einer Fliege die Flügel ausreißt. Und so sind die vielen glücklichen Erinnerungen – wie wir zwei im Poet’s Cottage tanzen, Pearl lauthals lachend, während sie versucht, mir den Charleston beizubringen, oder wie Pearl Gedichte vorträgt, während Maxwell und ich auf dem Diwan und dem Fußboden liegen und gebannt ihren Worten lauschen – vermischt mit ihren dunkleren Momenten. Die Phasen, in denen »der schwarze Wolf sie in den dunklen Wald zerrte«, wie sie selbst es nannte. Dann wurde sie launisch, war nach innen gekehrt, starrte ins Feuer und trug die Verzweiflung und Erschöpfung wie eine Maske. Während eines solchen Ausflugs in den dunklen Wald zeichnete sie einmal den Tod als eine Gestalt, in einen weiten Mantel gehüllt, die zerteilte Babys verschlang.
Und doch, trotz des gelegentlichen Schattens, der übers Poet’s Cottage fiel, waren meine regelmäßigen Besuche dort für eine Weile die glücklichste Zeit meines Lebens. Pearl machte mich mit einer intensiveren Art zu leben bekannt. Im Gegensatz zu den meisten Menschen, mit denen ich in Pencubitt aufgewachsen war, dachte sie über dieselben Dinge nach und interessierte sich für dieselben Sachen, die meine Seele nährten. Meine Nachbarn unterhielten sich nur über das Wetter, die Lebensmittelpreise, die Fabriken, die entlang der Küste dichtgemacht hatten, oder den schmucken Prinz von Wales. Pearl sprach von alten Mythen, von Sophokles, Paris und Virginia Woolf, Freud und Mondrian. Sie zitierte Picasso, Colette, Blavatsky, Blake und Shelley, erzählte von den Brontës, als wohnten sie ein Stück die Straße hinunter, und kaufte Zeitschriften aus Übersee mit glänzenden, farbigen Titelbildern. In ihrer Gegenwart wurde alles leuchtender, intensiver. Unabsichtlich fing ich an, sie zu imitieren: Was war ich doch für eine Närrin – als könnte ein Spatz einem Pfau nacheifern! Sicher haben sich einige Leute heimlich darüber amüsiert, als ich mir Tücher um den Kopf wickelte, vorsichtig Lippenstift auftrug, Rouge auf meinen Wangen verrieb und mir Perlenketten um den Hals schlang. Selbst den unvermeidbaren Gerüchten, wir hätten im Poet’s Cottage eine Ménage à trois, und der Missbilligung meiner Mutter für »diese Hure« gelang es nicht, mir meine Freude an den Besuchen zu verderben.
Dann richtete Pearl das Mördersuchspiel und die Séance im Poet’s Cottage aus und alles wurde anders.
KAPITEL 5
Einladung zum Mord
Hiermit sind Sie zu einer Mordnacht eingeladen.
Die teuflische Veranstaltung findet am Samstag,
den 26. Juni, im Poet’s Cottage statt.
Nach der grauenhaften Ermordung wird das weltberühmte Medium, Madame Rosa Drake, anwesend sein, um
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