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Dornentöchter

Dornentöchter

Titel: Dornentöchter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josephine Pennicott
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völlig Unerwartetes und Schockierendes. Nachdem sie ihre Zigarette weggeschnippt hatte, entledigte sie sich ihres Mantels und offenbarte, dass sie darunter vollkommen nackt war. »Ich bade gerne kurz, sogar in diesem Wetter«, meinte sie und schleuderte ihre Schuhe von den Füßen. Sie rannte zum Wasser, während ich mit offenem Mund dastand und zusah, wie sie lachend umhertollte und quietschte. Ich war sprachlos, konnte kaum begreifen, was ich da sah. Noch nie hatte ich eine andere Frau nackt gesehen, und Pearl war so ungehemmt, so sorglos. Ihr Körper war weiß wie meine Baumwolllaken. Ich hatte einen verwirrenden Eindruck von vollen Brüsten und einem dichten dunklen Haardreieck zwischen ihren Beinen. Und ich hatte eine Heidenangst, die arbeitenden Fischer könnten sie von ihren draußen verankerten Booten sehen.
    Nach ein paar Minuten kam sie zu mir zurückgerannt und schüttelte ihre nassen Haare aus. Verlegen wandte ich mich ab. »Jetzt geht es mir schon besser! Das war Aphrodite zu Ehren. Ach, Birdie, es ist doch nur ein Körper! Du lieber Himmel, meine Gute. Musst du dich setzen? Du wirst mir doch nicht ohnmächtig werden, oder? Ach, Birdie!« Sie schlug sich vor Erheiterung die Hand vor den Mund, als ich in Tränen ausbrach. Das war der Anfang unserer seltsamen Freundschaft.
    Als ich Pearl das erste Mal im Poet’s Cottage besuchte, war ich so nervös, dass ich beinahe davongerannt wäre, ehe ich mich zusammenriss und an die Tür klopfte. Sie wurde von einem strahlenden Maxwell geöffnet: »Birdie! Wie schön, dich zu sehen! Wie geht es Eva?«
    »Dank des wärmeren Wetters geht es Mutter ein bisschen besser. Das war ein harter Winter für sie.« Er half mir aus dem Mantel, und mit Erstaunen bemerkte ich, dass ich in Maxwells Gesellschaft nie schüchtern war. Ich plapperte einfach weiter: »Ja, hart für viele. Heute ist es auch kalt. Ich habe daheim ein Feuer gemacht. Das war der kälteste Winter seit Jahren, solange ich mich erinnern kann. Father Kelly hatte viel zu tun. Einige der Alten haben es nicht geschafft.«
    Die Kinder spielten lautstark hinten im Garten und von oben hörte man das Klappern einer Schreibmaschine. Maxwell warf einen besorgten Blick hinauf. »Wie ich höre, hast du einen Verehrer«, zog er mich auf, doch sein Verhalten war ein wenig angestrengt.
    »Victor? Das tratscht man im Dorf, aber selbst wenn es so sein sollte, weiß ich nichts davon.« Victor war der Sohn von Pamela und George Watson. Er war in Launceston auf dem Internat gewesen und vor kurzem zurückgekommen. Er sah gut aus, wie ein blonder Valentino, und ein paar Klatschtanten hatten beobachtet, wie er sich bei Blackness House mit mir unterhielt, als ich dort Skizzen machte. Im Ort galten wir deswegen nun als Paar.
    »Ich kenne Vic«, meinte Maxwell. »Er ist ein ganz anständiger Kerl – jeder Joe-Lyons-Anhänger ist mein Freund. Aber ich will ihm geraten haben, dich gut zu behandeln, altes Haus, oder er bekommt es mit mir zu tun. Vielleicht lade ich ihn ja mal zum Abendessen ein oder wir könnten zu viert etwas unternehmen. Warte da drin, Birdie, beim Feuer. Ich hole schnell Pearl.« Er führte mich ins Wohnzimmer, wo knisternde Musik aus einem Grammophon ertönte, ehe er die Treppe hinaufstürmte und rief: »Pearl! Pearl!«
    Ich setzte mich vors Feuer und betrachtete die Lyrikbände, die Dickens-Ausgaben und die Märchenbücher für Kinder, die vor mir auf dem Teppich gestapelt waren; dabei versuchte ich, nicht auf Pearls wütende Stimme aus dem ersten Stock zu hören. »Wie oft muss ich es dir noch sagen? Ich bin am Schreiben!« Maxwell erwiderte etwas in flehendem Tonfall, und das Tippen verstummte. »Dann sag du’s ihr doch!«, rief Pearl.
    Ich wollte sofort das Haus verlassen, doch Loyalität Maxwell gegenüber hielt mich fest. Ich studierte die umfangreiche Sammlung gerahmter und ungerahmter Drucke und Kunstwerke, die an den roten Wänden hingen oder am Boden dagegenlehnten. Ich fragte mich, wer wohl die Pastellzeichnung angefertigt hatte, die Pearl nackt auf einem Bett zeigte. Doch sicher nicht Maxwell? Auf einem Diwan stapelten sich bunt zusammengewürfelte Kissen. Es gab einige Jugendstilskulpturen und zwei Lampen mit roten Fransen, die schon ein wenig zerschlissen und schäbig waren. Auf dem Fußboden lag Kinderspielzeug herum und auf der Tapete waren Bleistiftkritzeleien zu sehen. In jeder Ecke türmten sich Bücher. Das Zimmer hätte eine Runde Abstauben, eine Dielenpolitur mit Fisher’s Bohnerwachs und

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