Dornentöchter
eine ordentliche Portion Muskelschmalz vertragen. Meine Mutter wäre entsetzt gewesen, eine solche Vernachlässigung der Haushaltspflichten zu erleben, und mir war unwillkürlich ebenfalls unwohl dabei, das hübsche, helle Zimmer in einem solch beschämenden Zustand zu sehen. Ich fragte mich, ob diese Verachtung von Ordnung wohl ein wesentlicher Teil der Künstlerpersönlichkeit war.
Nach einigen Minuten angespannter Stille hörte ich Schritte auf der Treppe. Dann betrat Pearl den Raum. Erleichtert stellte ich fest, dass sie vollkommen angezogen war. Sie war so schön wie immer, nur noch etwas blasser.
»Hallo, Birdie«, begrüßte sie mich und nahm dabei ihre Zigaretten aus einer schwarzen Lackkiste. »Ich bin gerade mitten in einer Szene, die ganz wunderbar läuft. Würde es dir viel ausmachen, wenn ich dich rausschmeiße? Tut mir echt leid, Süße, aber du weißt ja, wie das ist.«
»Natürlich verstehe ich das«, sagte ich. Meine Wangen glühten, aber auf eine seltsame Art verstand ich Pearls Widerwillen, ihre Arbeit zu verlassen, tatsächlich. Ich wusste, wie vertieft ich war, wenn ich zeichnete, schrieb oder meinen Tagträumen nachhing, und wie sehr ich Unterbrechungen hasste. »Tut mir leid, dass ich gestört habe. Ich komme wann anders wieder.«
»Danke, Birdie. Du bist ein guter Kumpel. Maxwell wird immer so böse, wenn ich die Leute bitte, zu gehen, aber ich weiß, dass du auch künstlerisch veranlagt bist und das verstehst. Wir denken einfach nicht so wie normale Menschen.« Beim Wort »normal« verzog sie verächtlich das Gesicht und in diesem Moment hätte ich ihr alles vergeben. Sie nahm mich in den Arm, küsste mich auf die Wange, und der Duft ihres Parfüms stieg mir in die Nase. »Ich habe diesen mageren, nervigen Kookaburra-Lachvogel endlich da hinbekommen, wo ich ihn haben will, und dann möchte ich die Muse einfach nicht stören.«
Als ich meinen Mantel, die Handschuhe und den Schal einsammelte, kam Maxwell herein. »Gehst du schon, Birdie?« Er klang enttäuscht.
Ich blickte zwischen den beiden hin und her. »Ja. Ich konnte ohnehin nicht lange bleiben, Maxwell«, log ich. »Mutter möchte, dass ich ein paar Einkäufe erledige. Ich komme wieder, wenn ich mehr Zeit habe.«
»Komm heute Abend wieder«, befahl Pearl. »Würde es dir so gegen fünf passen? Nein, sagen wir sieben, nachdem wir die Mädchen ins Bett gebracht haben. Dann können wir plaudern und einen Happen essen. Jetzt schau nicht so finster drein, Maxwell. Du siehst aus wie eine Eule mit Verstopfung. Ich muss mich jetzt einfach um Kenny kümmern. Am liebsten würde ich diesen gefiederten Teufel abmurksen – aber die Kinder wären außer sich! Wie garstig vom Verlag, darauf zu bestehen, dass er weiterlebt. Es bringt nichts, wenn du garstig deswegen bist, Maxwell.« Sie packte ihn am Kinn. »Sieh dir nur die Falten an, die sich in diesem hübschen Gesicht bilden! Deine kleine Birdie versteht das. Gott sei Dank versteht mich irgendwer hier in dieser Provinz!« Sie verschwand nach oben und Maxwell brachte mich an die Tür.
»Es tut mir so leid, Birdie.« Er zog eine Grimasse. »›Die Muse‹, du weißt schon.«
»Das ist völlig in Ordnung, Maxwell«, erwiderte ich. »Ich verstehe das vollkommen.« Und das tat ich. Wirklich. Viel besser, als der alte Maxwell dazu in der Lage war.
Am Abend kehrte ich ins Poet’s Cottage zurück und noch an vielen Abenden danach. In den glücklichsten Erinnerungen aus dieser Zeit sitzen wir vor dem offenen Feuer, werfen Pinienzapfen in die Flammen und lesen uns gegenseitig vor. Meist hatte ich ein unberührtes Glas Wein neben mir stehen (im Gegensatz zu Pearl fiel es mir schwer, unsere Huldigung an Dionysos zu genießen). Manchmal spielten wir Mahjong, wobei das angenehme Klacken der Steine das Knistern des Feuers begleitete, oder auch Rommé oder andere Kartenspiele für ein paar Pennys Einsatz. Die Unterhaltung war immer angeregt und abwechslungsreich und manchmal albern. Pearl konnte sich zum Beispiel mit genauso viel Eifer über verschiedene Methoden auslassen, wie man Elfen in den Garten lockte, oder über das neueste Cole’s Picture Book, wie sie für ihre hitzigen, intensiven Diskussionen über Dichter, Philosophen und Politik aufbrachte.
Während dieser Besuche bemerkte ich selten irgendwelche Anzeichen für die Spannungen, die sich später zwischen ihr und Maxwell breitmachten, obwohl es schon erste kleine Vorboten der Melancholie gab, die sich ihrer schließlich bemächtigte. Ein
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