Dornentöchter
oder zwei Mal verbrachte sie den Großteil des Abends damit, ins Feuer zu starren, und verweigerte sich allen Versuchen, sie in die Unterhaltung miteinzubeziehen. Ich erinnere mich auch noch, wie sie einmal aufbrausend auf irgendeine Bemerkung reagierte, die Maxwell über ihre neue Frisur machte: Sie brüllte, knurrte wie ein Tiger, stieß ein vulgäres Wort aus und warf ein Buch nach ihm. Das Erschreckendste an diesem frühen Vorfall war die Geschwindigkeit, mit der sie wegen einer solchen Kleinigkeit von unbekümmert auf wütend umschalten konnte.
Abgesehen von solch kleinen Vorkommnissen begrüßte ich das Leben, in das Pearl mich einführte, mit offenen Armen. Wir gingen frühmorgens, wenn der Frost noch den Boden überzog, zusammen Pilze Sammeln. Thomasina und Marguerite lauschten mit großen Augen, wenn ihre Mutter ihnen von den Festen erzählte, die die Elfen um die Pilze mit ihren weißen Hüten herum feierten, die über Nacht emporgeschossen waren. Dann kehrten wir gemeinsam in ihre unordentliche Küche zurück, wo die Kochutensilien von der Decke hingen und sich unzählige Töpfe und Schöpfkellen stapelten, und brieten die Feenpilze in Butter an. Oder wir experimentierten lachend damit herum, aus Rüben und Rhabarber Wein zu machen.
Selbst ihre eher eigenwilligen Gewohnheiten, etwa ihre Vorliebe für Nacktheit, verloren einen Teil der anfänglichen Anstößigkeit. Sie war Pearl: künstlerisch, unkonventionell, frei. Auch wenn sie sich nicht immer entsprechend der gesellschaftlichen Normen verhielt – so wie Maxwell –, entschied ich, dem keine Beachtung zu schenken und es als »Künstlerpersönlichkeit« abzutun. Es kam mir nie in den Sinn, dass auch ich künstlerisch veranlagt war und mich trotzdem nicht ähnlich benahm. Ich war einfach zu sehr hingerissen von Pearl und den beiden Mädchen (auch wenn ich diese selten zu Gesicht bekam, denn Maxwell hatte eine junge Frau aus dem Ort, Emily McCarthy, engagiert, um auf sie aufzupassen) sowie vom Haus mit seinen Samtvorhängen, der großen Bibliothek und den Kunstdrucken.
In der Tat war sich das Dorf, völlig abgesehen von dem, was Pearl tat oder nicht tat – wie zum Beispiel Abstauben –, in einer Sache einig: Es war ihr tatsächlich gelungen, das Poet’s Cottage in weit mehr als seinem früheren Glanz erstrahlen zu lassen. Wie die meisten anderen Einwohner war ich vom Poet’s fasziniert. Irgendwie schien es eine dominante Stellung in unserer kleinen Stadt einzunehmen. Da ich seine Vergangenheit für mein Buch Die Historischen Gebäude Pencubitts recherchiert hatte, wusste ich, dass es vom selben Architekten wie Blackness House entworfen worden war: Edward Frick Hellyer, dessen neunköpfige Familie in Blackness House gewohnt hatte. Die Hellyers hatten eine tragische Geschichte gehabt, die oft erzählt wurde. Er verlor in diesem Anwesen ein Kind, einen Säugling, der bei der Geburt starb, was damals kein seltenes Vorkommnis war. Dann starb 1835 eine Tochter im Alter von ungefähr sechs Jahren in Blackness House, als sie in einem Holzkarren spielte, der vom Hund der Familie gezogen wurde. Hellyers Frau starb ein Jahr später und sechs Monate danach nahm sich Edward im Poet’s Cottage das Leben. Die Touristen wurden dieser tragischen Geschichte nie überdrüssig. Kein Wunder, dass sich Gerüchte über unruhige Geister um beide Orte rankten. Aufgrund der kleinen Gruppe künstlerisch tätiger Personen, die dort gelebt hatten, hatte sich in Pencubitt im Lauf der Jahrzehnte der Glaube eingenistet, das Poet’s Cottage bevorzuge als Bewohner kreative Menschen. In den späten 1940 er Jahren war es kurzzeitig an eine extravagante Tanzlehrerin aus Hobart vermietet, die später tot am Shelley Beach angespült wurde.
Auch wenn die vorherigen Bewohner nicht ruhig in ihren Gräbern schliefen, machte es Pearl offensichtlich Spaß, das Poet’s wieder herzurichten und sämtliche Geister aufzuscheuchen, die dort noch weilen mochten. Vor ihrer Ankunft hatte sich Moder im Haus breitgemacht und die Wände waren von Schimmel bedeckt. Der Putz hatte Risse und die Dielenbretter waren zerkratzt, fleckig und so schadhaft, dass man eine Hand durchstecken konnte. Maxwell war wegen seiner bodenständigen Art in Pencubitt immer beliebt gewesen, doch als er beschloss, im Poet’s Cottage zu bleiben, fürchtete man, er würde sein Geld bald los sein. Als er damals das Haus von seinen Eltern erbte, mietete er sich in einem Zimmer in der alten Bäckerei in der Ortsmitte ein, was
Weitere Kostenlose Bücher