Dornentöchter
seltsam bitteren Lächeln. »Maxwell verwöhnt die Mädchen viel zu sehr. Ich könnte schwören, dass er lieber mit ihnen als mit mir zusammen ist.«
Ich musste an Pearls ständige Stimmungsschwankungen denken und ihre Neigung, sich in den unpassendsten Momenten zu entblößen, und einen tückischen Augenblick lang konnte ich mich des Gedankens nicht erwehren, dass man dem Ehemann wohl kaum einen Vorwurf machen konnte, wenn er die Gesellschaft seiner unschuldigen Töchterchen bevorzugte. Wie so oft in letzter Zeit verspürte ich eine Spannung zwischen den beiden, wie bei zwei Haien, die unter der Wasseroberfläche eines kalten Ozeans dahingleiten.
»Komm mit, Victor«, sagte Pearl und hakte sich bei ihm unter. »Komm, damit ich dich unseren Gästen vorstellen kann. Und du auch, Birdie.«
Ich folgte ihnen ins Wohnzimmer, das von einer tulpenförmigen Stehlampe und dem Schein des Feuers erleuchtet wurde. Natürlich hatte Pearl sich nicht die Mühe gemacht, für die Party aufzuräumen. Deshalb war der Raum so unordentlich wie immer.
»Alle mal herhören!«, verkündete Pearl lauthals. »Das hier ist eine meiner besten Freundinnen in Pencubitt, Miss Birdie Pinkerton. Und ihr gutaussehender Begleiter ist Victor Watson. Ich kann euch versichern, dass wir uns heute Abend in sicheren Händen befinden, weil Victors Vater George, wie ihr wisst, Chef der örtlichen Polizei ist. Demnächst wird hier ein schrecklicher Mord passieren. Deswegen haben wir auch den Pfarrer eingeladen!«
Obwohl es nur ein paar Leute waren, die in Pearls kleinem Wohnzimmer auf Stühlen oder auf dem Boden saßen, hatte ich in meiner Panik das Gefühl, Hunderte von Menschen hätten den Kopf in unsere Richtung gedreht, und eine Woge von Gelächter hallte in meinen Ohren. Mir schien, als würden sie über mich lachen, wie ich so linkisch und unattraktiv in meinem selbstgenähten Kleid dastand, während Pearl Victor umschlungen hielt und ihre Brüste beinahe aus dem Tuch fielen.
»Diana und Violet kennt ihr sicher.«
Diana? Ich schielte entsetzt zu Mrs Bydrenbaugh und ihrer Tochter hinüber, die zusammen auf dem Sofa saßen. Mrs Bydrenbaugh trug ein cremefarbenes Abendkleid mit einem Fuchspelz über der Schulter, Violet ein Kleid aus grüner Seide mit einem weißen Pelz.
»Ach ja, das ist das kleine Mädchen, das eine geschichtliche Abhandlung über Blackness House schreibt.« Mrs Bydrenbaugh musterte mich durch ihren Kneifer. »Wie kommen Sie voran, Miss Pinkerton?«
»Um Himmels willen, Diana! Sei doch nicht so steif! Sie heißt Birdie«, wurde sie von Pearl unterbrochen, die unser Zusammentreffen amüsiert beobachtete.
»Wie kommen Sie voran, Miss Birdie?«
»Nur langsam, Mrs Bydrenbaugh«, gestand ich. »Wegen des schlechten Wetters konnte ich einige Tage nicht zeichnen. Außerdem ging es Mutter nicht gut, so dass sie zu Hause meine Hilfe benötigte.«
»Nicht gut? Was fehlt ihr denn?«
»Religiöser Wahn«, warf Pearl ein.
»Darling, sprich nicht so über Birdies Mama«, mischte sich Maxwell ein, der eben hereinkam. »Die Mädchen sind im Bett und hoffen auf einen Gutenachtkuss.«
»Ach, die können warten«, meinte Pearl leichthin.
»Wenn du nicht hinaufgehst, dann wird Thomasina im Haus herumwandern. Sie jammert, dass ihr der Zahn wieder weh tut.« Maxwell stocherte mit abgewandtem Gesicht im Feuer, aber ich hatte den Eindruck, dass er verärgert war.
»Na schön, ich gehe. Bist du dann zufrieden, Maxwell? Komm, Victor! Geben wir meinen Monstern gemeinsam einen Gutenachtkuss.« Sie zerrte Victor förmlich hinter sich her.
Nachdem sie den Raum verlassen hatten, legte sich ein angespanntes Schweigen über unsere kleine Gruppe. Ich konnte hören, wie Pearl auf der Treppe kicherte und Victors tiefere Stimme einfiel. Maxwell stocherte immer noch im Feuer herum. Funken stoben aus dem Kamin und ich zwang mich, der Versuchung zu widerstehen, Victor hinterherzulaufen, um ihn vor Pearl zu beschützen.
»Blackness House hat eine überaus faszinierende Geschichte, finden Sie nicht auch?«, sagte Mrs Bydrenbaugh schließlich. »Seit ich als kleines Mädchen dort aufgewachsen bin, spüre ich die Geister innerhalb seiner Mauern. Ich war schon immer der Meinung, dass jemand einen Roman darüber schreiben sollte. Natürlich gab es da die Biographie von Edward Frick Hellyer, aber Blackness House wurde darin nur kurz erwähnt und der Selbstmord des armen Mannes beinahe unter den Teppich gekehrt. Ich bin fest davon überzeugt, dass er ein Genie war.
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